Der linke Kompromiss mit der Herrschaft

Antizionismus als linker Kompromiss mit der Herrschaft.

„In Wirklichkeit spekuliert diese Behauptung mit der Tatsache, daß der historische Ursprung des Antisemitismus im Herzen der westlichen Zivilisation liegt, um zu suggerieren, seine Geltung beschränke sich darauf. Aber die Gefahr besteht viel mehr darin, daß er alle ansteckt, die dem Einfluß dieser Zivilisation unterliegen.“
– Leon Poliakov 1


Der folgende Text ist der Versuch damit zu beginnen, die antisemitischen Ereignisse und das Verhalten der Linken hierzulande einzuordnen. Dabei werden viele Gedanken aufgegriffen, die wir an anderer Stelle bereits geäußert haben oder auch Andeutungen auf andere Autor:innen gemacht, die wir nicht in Gänze ausführen können, ohne dass der Text völlig überladen wird. Wir haben uns deshalb dafür entschieden, mit einem Fußnotenapparat zu arbeiten und so diverse Ergänzungen, Vertiefungen und Erklärungen einzuarbeiten. Wir wollen versuchen, unsere Texte durch diese Methode Leser:innen mit verschiedenen Hintergründen zugänglich zu machen.


Im Mai 2021 fanden die schwerwiegendsten Raketenbeschüsse in der Geschichte Israels statt. Wie immer, wenn Israel angegriffen wird, wurde auch dies von Demonstrationen und einigen antisemitischen Attacken in Deutschland begleitet. Trotz zahlreicher Lippenbekenntnisse gegen Antisemitismus – wobei die (radikale) Linke Bremens auffallend schweigsam war2 – wird gerne außer Acht gelassen, welche radikalen Ausmaße der Antisemitismus in der Gesellschaft annimmt. Dass Juden:Jüdinnen vor Synagogen angegriffen werden, ist leider nichts Neues. Die Aggressionen der Gleichsetzung von Juden:Jüdinnen mit dem Staat Israel, die exemplarisch in Gelsenkirchen zutage traten, lassen allerdings die oft vorgenommene Schlussfolgerung, dass Antisemitismus und sein gesellschaftlich anerkannter Bruder Antizionismus nur von sogenannten ewiggestrigen Heimatverliebten (und solchen, die sich dazuzählen) ausgehen, nicht zu.3 Denn auch auf einer sich als links definierenden Demo am Bremer Osterdeich wurde hemmungslos die Sehnsucht nach einem Nahen Osten ohne jüdischen Selbstschutz propagiert.4  Die Tragweite der Ideologie der islamischen Rechten wird in dieser einseitigen Debatte gerne einfach vergessen.5 Außerdem wird außer Acht gelassen, welche Kontinuitäten und Einflüsse diese Ideologie abseits fundamentalistischer Milieus bereits jetzt besitzt.6 Die im Minutentakt erfolgende Propaganda der „digitalen Intifada“ (Ben Salomo) und die daraus resultierenden Erklärungen, in denen der Nahostkonflikt mal eben in 5 Minuten gelöst wird, ist nur eine von vielen Begleiterscheinungen. Beispielsweise wird Tarek Baé als populärer Antirassist gefeiert. Baé, der ehemalige SETA- und heutige TRT-Mitarbeiter7 , der unter anderem berechtigte Kritik an den organisatorischen Verstrickungen des Zentralrats der Muslime in Deutschland mit türkischen Nationalisten als islamophob denunzierte, wird wie ein unabhängiger Qualitätsjournalist im Kontext des Nahostkonflikts zitiert und geteilt. Bevorzugt wird er dabei als Gegenspieler der als zionistisch imaginierten bürgerlichen Presse inszeniert.

Oft wird darauf verwiesen, dass diese Ideologeme der islamischen Rechten neue, isolierte Phänomene des rechten Rands seien, mit denen es bislang kaum Berührungspunkte gab. Dagegen spricht zum Beispiel in Bremen, dass es bereits 2017 Kontakte von muslimischen Gemeinden zur libanesischen Terrorzelle Hisbollah gab.8 Ein Reportagebeitrag der ARD von 2018 zeigt, dass der lange Arm des autoritären iranischen Regimes, dessen Ideologie inhärent die Vernichtung des Staates Israel fordert,9 bis nach Delmenhorst reicht. Aktueller lässt sich der Al-Quds-Tag nennen, der alljährlich die Vernichtung des israelischen Staates fordert und am 8. Mai in Bremen in Form eines Autokorsos begangen wurde. Doch nicht nur hier lässt sich erkennen, welche einfachen Erklärungen den Menschen nutzen, um dem Juden unter den Staaten das Existenzrecht abzuerkennen. Ebenfalls fand auf dem Bremer Domshof eine antizionistische Demonstration statt, auf der sich ein bekanntes Gesicht der Bremer Linkspartei und die Träger:innen mindestens einer Antifa-Fahne gemeinsam mit türkischen Nationalisten unter den Teilnehmenden einreihten.

Der sich auf Demonstrationen und in Aufrufen artikulierende Antizionismus geriert sich dabei als antikoloniales, ergo antirassistisches Unterfangen, das seinem Bestreben nach fortschrittlich und demnach über regressive Tendenzen wie Antisemitismus erhaben ist. Dieses Narrativ wird zum einen durch die demagogische Konstruktion Israels als koloniales Projekt des Imperialismus und zum anderen durch die stetige Abgrenzung von eindeutig antisemitischen Akteur:innen der islamischen wie deutschen Rechten gestützt. Zurückzuführen ist diese Tendenz auf den zunehmenden Einfluss der gegenwärtigen intersektionalen Ansätze, die Antisemitismus als bloße Herrschafts- und Unterdrückungsform begreifen. So können Unterdrückte – und jene, die als solche betrachtet werden – nicht selbst unterdrückenden Ideologien anhängen. Sie werden zu unmündigen Subjekten, denen die Möglichkeit, selbst zu unterdrücken, abgesprochen wird. Es fehlt ein Begriff davon, dass sich Antisemit:innen etwa in ihrem Hass auf „die da oben“ selbst als Unterdrückte wahrnehmen. Dieser Ansatz kann wesentliche Spezifika des Antisemitismus nicht erfassen und ist daher in seiner Analyse zwangsläufig verkürzt.10 Der Antisemitismusbegriff der pro-palästinenischen, woken Linken geht so in einem Gros der Fälle nicht über eine Form des Rassismus, die sich explizit gegen Juden und Jüdinnen richtet, hinaus. Dadurch verkommt die Antisemitismuskritik zu einem Lippenbekenntnis, das nur der Festigung der eigenen Position dient und keinerlei Widerspruch darin sieht, auf Demonstrationen implizit und explizit die Vernichtung des jüdischen Staates und seiner Bewohner:innen zu fordern.11 

Emanzipatorische Kritik an diesen Zuständen aus vorgeblich antideutschen Kreisen wird dabei allein mit Verweis auf die verortete Gesinnung der Kritiker:innen bestenfalls ignoriert, im Zweifelsfall aber diffamiert. Die explizite Abgrenzung sowohl gegenüber offen antisemitisch auftretenden Antiimperialist:innen als auch vermeintlich rassistischen bzw. „islamophoben“12 Antideutschen erinnert dabei partiell an eine innerlinke Adaption der Hufeisentheorie, als deren gesellschaftliche Mitte sich die Vertreter:innen des antizionistischen Antirassismus wähnen. Parallel zur herkömmlichen Hufeisentheorie werden auch hier Extreme konstruiert, die ohne weitere argumentative Grundlage aus dem konsensbedürftigen Diskurs ausgeschlossen werden können. Gleich der bürgerlichen Mitte ist allerdings auch die linksradikale Mitte nicht über regressive Tendenzen erhaben. Die äußerliche Distanzierung von offen zur Schau getragenem Antisemitismus bedeutet noch keine Absage an israelbezogenen Antisemitismus, Schuldabwehrantisemitismus oder die Relativierung der Shoah.  Die Stigmatisierung der Extrempole – Antideutsche und Antiimperialist:innen – erschwert eine solidarische, innerlinke Kritik an diesen Zuständen. Gerade die Linke, die vermittels der bürgerlichen Hufeisentheorie selbst diffamiert und marginalisiert wird, sollte derlei Immunisierungsstrategien wachsam und kritisch gegenüberstehen. Die aktuellen Entwicklungen weisen jedoch eher in eine gegenläufige Richtung.13

Allerdings wird das Narrativ der rassistischen Antideutschen und die damit verbundene Karte, Antisemitismus und Rassismus gegeneinander auszuspielen, durch Post-Antideutsche, die sich selbst als Rechtsantideutsche sehen, aktuell bestärkt. So gab es Stimmen aus diesem Umfeld, die sich nicht entblödeten, mit der Parole „Antifa heißt Abschiebung“ auf die antisemitischen Vorfälle zu reagieren und so implizit eine antisemitismusfreie westliche Gesellschaft zu proklamieren, anstatt Judenhass in all seinen Facetten als globales Phänomen zu begreifen. Sie reagieren so mit einer rassistischen Logik auf Antisemitismus. Wie nationalistisch und darüber hinaus fatal für Israel diese Logik ist, haben die Genoss:innen von antideutsch.org aufgezeigt: „Hypothetisch angenommen, man könnte überhaupt Antisemiten einfach so abschieben. Ignorieren wir einfach mal, dass Antisemitismus in Deutschland zu Hause ist und die Regierung mit dem Iran Deals macht, der Israel auslöschen will. Was dann? Man schiebt Menschen ab – was ohnehin eine Praxis ist, die kein Kommunist gut finden kann -, die ihren Vernichtungswunsch gegenüber Juden artikulieren und schickt sie in den Libanon oder Gaza-Streifen oder das West-Jordanland? Was tuen sie wohl dort? Man muss schon sehr national gesinnt sein und sich einen Scheiß für die Situation von Juden außerhalb Schlands interessieren, um so etwas zu fordern. Und dazu kommt nun noch all das, was zu recht seit Jahrzehnten von der radikalen Linken an Abschiebungen kritisiert wird.“14

Diese oben beschriebenen Post-Antideutschen sind wesensverwandt mit sich als antikolonial bezeichnenden Antisemiten. Wo sich bei den einen den Jüdinnen:Juden und dem „Jude[n] unter den Staaten“ (Hans Meyer) bedient wird und er zum nutzbaren Objekt gemacht wird, um dem eigenen Hass auf Rassifizierte ein Ventil zu geben, sind es bei den sich als antikolonial verstehenden Linken die fremden, urtümlichen Völker in der Peripherie der Welt, die gerecht und voller Ehrlichkeit ihren Kampf gegen den abstrakten jüdischen Staat und den „großen Satan“ in Form der Vereinigten Staaten von Amerika führen. Beide Logiken ergänzen sich so und nehmen in ihrer rassistischen Kritik des Antisemitismus Elemente antisemitischen Denkens auf, ebenso wie die antisemitische Kritik des Rassismus rassistische Elemente bedient.

Hier deuten sich zwei Seiten derselben Medaille an. Beide Weltbilder sind sich ähnlicher, als sich die sich vermeintlich unversöhnlich gegenüberstehenden Parteien je eingestehen würden. Bei den Post-Antideutschen und bei Teilen der „antikolonialen“ Linken sind die gesellschaftlich Rassifizierten bloße Objekte Weder Juden:Jüdinnen noch Rassifizierte kommen in dieser Logik als selbständige Subjekte vor, sondern bloß als politische Verhandlungsmasse, die die eigenen Herrschaftsvorstellungen legitimiert.. Ob man nun den Jihadisten, der in Gaza nicht in die Norm passende Menschen verbrennt, als Freiheitskämpfer verklärt oder den vor dem Krieg Geflüchteten mit ebenjenen Jihadisten gleichsetzt, um seinem Verlangen nach Rassimus nachgehen zu können -das „Fremde“ ist für beide eine homogene Masse, an der sich eigene Wünsche und Triebregungen entladen können.15 

Der rechtsantideutsche Philozionismus ist nichts anderes als ein Spiegelbild anstelle der notwendigen Überwindung des Antizionismus. Dieser Antizionismus, der sich gegen den jüdischen Agenten der Herrschaft von Staat und Kapital richtet, ist eine konformistische Rebellion, die am Ende die tatsächliche Rebellion gegen die Herrschaft verhindert. Solange Israel existiert, kann die Hamas ihre Herrschaft legitimieren und die notwendig gewalttätigen Anteile dieser Herrschaft auf Israel abspalten. Linke in Deutschland beteiligen sich daran ideologisch, weil auch sie gedanklich den Frieden mit der Herrschaft gemacht haben, wenn sie verlangen, dass sich der Mensch unter irgendein über den Menschen stehendes Konstrukt – wie Kultur, Ethnizität oder Identität – einzuordnen hat. In einem Kollektiv gibt es stets Differenzen, wenn das Kollektiv gemeinsam etwas untergeordnet ist – selbst wenn es nur eine Idee ist – muss es diese Differenzen abspalten können, um handlungsfähig zu bleiben.16 Dass Rechte Antisemit:innen sind, erachten wir im Übrigen nicht weiter für erwähnenswert, erklärt es sich doch von selbst, dass Kollektive von Menschen, die der Herrschaft affirmativ gegenüberstehen, auch kein Problem mit herrschaftslegitimierenden Ideologien haben. Doch dass Linke, die wir eigentlich als Genoss:innen im Kampf gegen Herrschaft sehen, in ihrem Denken einen Kompromiss mit der Herrschaft gemacht haben, können wir nicht so einfach akzeptieren – schließlich brauchen wir die Bundesgenossenschaft mit ihnen im Kampf gegen Staat, Kapital und ihre rechten Verteidiger.

Die Theorien des Anti- und Postkolonialismus versagen in ihrem Versuch, die Problematik des Antizionismus zu verstehen. Das hat einerseits damit zu tun, dass der Antikolonialismus historisch – so gerechtfertigt er im konkreten Moment sicherlich auch war – kein Angriff gegen die Herrschaft als solche ist, sondern der Versuch, die Herrschaft in die Hände des eigenen Volkes zu legen. Daraus resultieren tendenziell die oben beschriebenen Abspaltungsmechanismen. Vor allem aber liegt es oft daran, dass Kolonialismus als Erklärung nicht weiter in historische Entwicklungen eingebettet wird und Europa als ein kolonisierender Block verstanden wird. So fällt etwa unter den Tisch, dass kolonialistische Bewegungen überhaupt Juden:Jüdinnen aus dem heutigen Israel vertrieben, dass Osteuropa, die neue Heimat vieler Juden:Jüdinnen, selbst wiederum koloniale Spielfläche dreier imperialer Großmächte war und nicht zuletzt, dass die koloniale Expansion sehr häufig mit Versuchen einer antisemitischen Homogenisierung im Inneren einherging: 1492, das Jahr, in dem Kolumbus die Kolonisierung der Amerikas einleitete, war auch das Jahr, in dem Juden aus Spanien vertrieben wurden.

Kapitalismus – als dessen immanente Bestandteile Kolonialismus und Imperialismus verstanden werden müssen – lässt sich spätestens seit dem historischen Moment, in dem Herrschende und Beherrschte sich kollektiv zum Judenmord zusammenschlossen, nicht auf ein einfaches Herrscher versus Beherrschende-Schema reduzieren17. Der antikoloniale Befreiungskampf, der sich gegen koloniale Herrschaft auflehnt, schafft es nicht aus dem kapitalistischen System herauszutreten und fällt selbst in kapitalistische Muster zurück, wenn er etwa einen Staat errichtet. Zugleich wird die für den antikolonialen Befreiungskampf notwendige Kollektivierung selbst repressiv nach innen, weil auch sie eine Triebunterdrückung von ihren Mitgliedern verlangt. Antizionismus und Antisemitismus können die hier nötige Abfuhr angestauter Triebe und zugleich eine Legitimation des Verzichts liefern. Diese Mechanismen werden jedoch von einer Kritik des Kolonialismus, die sich einer dialektischen Betrachtung des Kapitalverhältnisses verweigert, nicht erfasst. Im Gegenteil, sie werden sogar reproduziert.

Das in postkolonialen Zusammenhängen verbreitete Narrativ der weißen und rassistischen Antideutschen wiederum erfüllt das, was Sartre als Tatbestand des Antisemitismus definiert: die totale Wahl. Die eigene Anschauung wird unangreifbar, indem Kritiker:innen des Antisemitismus als Rassisten betrachtet und so aus der Linken ausgeschlossen werden. Mit Verweis auf psychoanalytische Theorien des Antisemitismus kann man davon ausgehen, dass, je vehementer das Narrativ bedient wird, desto mehr die antisemitischen Individuen selbst eine Ahnung davon besitzen, dass sie antisemitisch agieren oder sich in ihrem Denken noch längst nicht frei von den Denkformen des Kapitals gemacht haben. Eine Ahnung, die sie sich nicht eingestehen können, sehen sie sich doch als Postkoloniale im essentialistischen Antagonismus zur gesellschaftlichen Herrschaft. Die antisemitische Projektion ist das bewährteste Mittel, um dieses fetischisierte Denken – die immer nur relativ mögliche Rebellion wird in das Individuum hineingelegt – aufrechtzuerhalten: Das Festhalten am Antisemitismus und die Verdrängung der schmerzhaften Einsicht der eigenen Verstrickung erfüllt so die Funktion von „self care“.18 Wir haben am eigenen Leib erfahren, wie sich antisemitische Narrative materialisieren und wie kollektiv die ausgeübte Gewalt rationalisiert wird, um jede schmerzhafte Selbsterkenntnis im Keim zu ersticken.

Den hier angedeuteten antisemitischen Angriff haben wir in zwei früheren Texten mehrfach analysiert und Falschbehauptungen richtig gestellt.19 Dennoch scheint es angesichts der sich hartnäckig haltenden Lügen relevant zu sein, zumindest den Versuch zu wagen, diesen entgegenzutreten. Trotz unseres Bewusstseins, dass die Personen, welche die Wahl getroffen haben, Antisemit:innen zu sein, sich von einer weiteren Darstellung wenig beeindrucken lassen, hoffen wir zumindest darauf, dass diesen Antisemit:innen und ihren Falschbehauptungen künftig mehr Gegenwind anstelle von unkritischer Zustimmung und Verbreitung entgegenschlägt.

Nach der Ermordung von Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov und Gabriele Rathjen20 am 19. Februar in Hanau durch einen faschistischen Terroristen gab es in vielen Städten Gedenkveranstaltungen für die Ermordeten. So wurde auch in Bremen ein Gedenkspaziergang durch das Viertel in Richtung Innenstadt veranstaltet, der bereits zuvor als Demo nach einem rechten Brandanschlag auf die Friese angemeldet war. Zu dieser Demonstration trafen sich viele über die Anschläge Erschütterte zum gemeinsamen Gedenken, so auch unsere Gruppe. Da wir auf diesem Gedenkspaziergang auf den antisemitischen Hintergrund des Täters aufmerksam machen wollten, nahmen wir uns zwei (ca. 20x15cm große) Israelfähnchen mit. Getroffen wurde zwar kein Jude* und keine Jüdin* dennoch waren auch sie mit dem Angriff gemeint.21 Nach Erreichen des Versammlungsorts entdeckten wir weitere Nationalflaggen, unter anderem kubanische und kurdische, welche offensiv geschwungen wurden.22 Dieser Eindruck verleitete uns zu dem Trugschluss, dass unsere im Vergleich winzigen Flaggen mit dem Davidstern kein großes Aufsehen erregen würden.

Nach einem erfreulichen Kommentar zu den israelischen Fähnchen und zwei irritierenden Gesprächen setzte sich der Zug in Bewegung. Nach ein paar Minuten zerstreute sich unsere Gruppe, da wir nicht mit Bedrohungen auf einer Gedenkveranstaltung rechneten. Als zwei Gruppenmitglieder mit den Fähnchen an einer ca. 10-15 Personen umfassenden Gruppe vorbeilief, erfolgte der antisemitische Angriff. Aus dieser großen Gruppe heraus löste sich zuerst ein (mittlerweile in Hamburg lebender) stadtbekannter Antisemit und versuchte lautstark und aggressiv, einem erschrockenen Gruppenmitglied die Flagge mit dem Davidstern zu entreißen. Das besagte Gruppenmitglied suchte Schutz am Rande der Demo, doch der Aggressor, angestachelt von der tatkräftigen Unterstützung seiner Gruppe, versuchte weiterhin uns die Flaggen zu entreißen. Nur durch das beherzte Eingreifen weiterer Demoteilnehmer:innen konnte der Angriff auf unsere bei weitem unterlegene Gruppe abgewendet werden. Im Nachgang wurden wir noch bespuckt und verängstigt und gedemütigt von den Angreifer:innen zurückgelassen. Diese konnten trotz unserer Berichterstattung den Anmelder:innen gegenüber weiter an der Demo teilnehmen und uns noch ein weiteres Mal verbal bedrohen, bis wir die Demo verließen. Später durften wir mehrfach lesen, dass wir nicht Opfer eines antisemitischen Angriffes gewesen seien, sondern rassistische Aggressoren.23

Die im Nachgang immer wieder ins Gespräch gebrachte Kategorisierung um den Begriff Rassismus zeugt im Kontext des Antisemitismus von einer unzureichenden Analyse des Nationalsozialismus. Das Verständnis von Nationalsozialismus als kolonialistisch-imperialistisches Phänomen, also als Symptom des Kapitalismus, verkennt, dass die nationalsozialistische Volksgemeinschaft die negative Aufhebung des Widerspruchs von Kapital und Arbeit war, die zum kollektiven Massenmord der Shoah führte. Die Shoah wurde nicht aus wirtschaftlichem Interesse begangen, sondern um die als übermächtig imaginierten Juden:Jüdinnen auszulöschen. Hier zeigt sich auch der bereits zuvor angesprochene Unterschied zwischen Rassismus und Antisemitismus, den viele Postmoderne und Antiimperialist:innen oftmals ignorieren. Rassismus geht von den minderwertigen Anderen aus, während Antisemitismus von den übermächtigen Juden und Jüd:innen ausgeht, die wegen ihrer Übermacht umso konsequenter vernichtet werden müssen, denn der/die Antisemit:in geht von der drohenden eigenen Vernichtung aus. Deswegen wurden auch vor allem Osteuropäer:innen zur Zwangsarbeit eingesetzt, während Juden und Jüd:innen primär vernichtet wurden. Die postmoderne Faschismustheorie begreift den Nationalsozialismus zwar nicht nur als kolonialistisch bzw. imperialistisch, wie im antiimperialistischen Verständnis, sondern auch als weiß. Jedoch bezog sich die nationalsozialistische Rassenideologie – zumindest in erster Linie – auf andere Kriterien als dem der Hautfarbe, mit denen die Grenze zwischen Volksgemeinschaft und den zu versklavenden Osteruopäer:innen, den Sinti und Roma und den zu vernichtenden Juden und Jüd:innen gezogen wurde. 

Die Außenpolitik des Deutschen Reiches war unter anderem weniger weiß im postmodernen Sinne und vielleicht sogar antikolonial in den Augen einiger postkolonialen Antizionist:innen.24 Mit einem arabischsprachigen Propaganda-Sender wurde antisemitische Propaganda mit islamistischem Kitsch aus Zeesen bei Königs Wusterhausen nach Jerusalem gesendet. Das Narrativ von Großbritannien und den USA als jüdisch kontrolliert und nach der Vernichtung des Islams strebend kombiniert mit der historischen Tatsache, von diesen Kolonialmächten besetzt und ausgebeutet worden zu sein, bot einen verlockenden Anreiz, um der antisemitischen Ideologie zu verfallen und auf ihr das eigene homogenisierte und ideologisch mobilisierte nationale Projekt aufzubauen. Auch wenn Hitler in „Mein Kampf“ über Araber:innen herzieht25, versuchte er sie als Teil eines antisemitischen Zweckbündnisses zu mobilisieren, um die Gründung eines jüdischen Staates zu verhindern.26 Im Zweifel überwindet die Volksgemeinschaft ihren Rassismus, solange der Antisemitismus eint.

Die Zusammenarbeit und Propaganda blieb nicht folgenlos. 1945 lebten 900 000 Juden und Jüdinnen in den arabischen Staaten. Aktuell sind es 4500.27 Juden sind zwischen die Fronten im ungleichen Krieg zwischen Orient und Okzident geraten, den postkoloniale Theoretiker:innen und Aktivist:innen zu Recht untersuchen und kritisieren.28 Israel, der Schutzraum der Juden:Jüdinnen, war und ist kein kolonialer Staat, auch wenn er heute diverse Institutionen der westlichen Staaten übernommen hat.29 Doch waren die ersten strategischen Partner Israels nicht westliche Staaten, sondern die Sowjetunion und die slawischen Staaten, deren Bewohner:innen die Opfer des innereuropäischen Kolonialismus und Nationalsozialismus waren. Eigentlich ist Israel ein antikoloniales Projekt, weil es den im Kolonialismus Entwurzelten – europäischer wie arabischer Provenienz – eine Heimat bietet, da in der Frontstellung, die der Antikolonialismus produziert, Juden nirgends dazugehören. Doch genau diese Erkenntnis geht im Zuge der einseitigen Betrachtung verloren, ebenso wie die historische Tatsache, dass im Antisemitismus Herrschende (deutsches Bürgertum bzw. Europa) und Beherrschte (deutsches Proletariat bzw. arabische Welt) sich gegen die Juden zusammentun.

Dies alles kann nur eine erste Skizzierung der Problemkonstellation sein. Wir hoffen jedoch, dass sie zumeist die Grundlage für eine dringend notwendige Debatte schafft, die im Mai ausgeblieben ist. Uns geht es hier wie anderswo darum, aufzuzeigen, wie sich Denkformen der Herrschaft des Kapitals auch in den Köpfen derer niedergeschlagen haben, die nicht selbst herrschen oder die Herrschaft gutheißen. Wir werden uns in den nächsten Monaten weiter mit den hier angeschnittenen Themen beschäftigen und dazu auch einige Diskussionsveranstaltungen organisieren.

In diesem Sinne,
Nie wieder Deutschland,
Solidarität mit Israel,
& für den Kommunismus,
Solarium.

1 Weiter schreibt Poliakov, Shoah-Überlebender und Autor der umfangreichen Studie „Geschichte des Antisemitismus“, in seiner Polemik „Vom Antizionismus zum Antisemitismus“: „So tritt etwa im 19. Jahrhundert das facettenreiche Phänomen des jüdischen Antisemitismus auf. Und in den USA hat sich in jüngster Zeit gezeigt, daß Schwarze den besten Nährboden für den Antisemitismus abgeben. Soll man da wirklich glauben, dass einzig und allein die Araber sich einer Immunität oder gar einer besonderen Allergie gegen den Antisemitismus erfreuen?“ Mehr zum Antisemitismus der US-amerikanischen Black Panther Bewegung: : https://monde-diplomatique.de/artikel/!5568215

2 Als Ausnahme ist hier das Bremer Bündnis gegen Rechts zu nennen, das auf Twitter ein Statement veröffentlichte: https://twitter.com/bgrBremen/status/1400725367195906049

3 Als solch vermeintlich „Ewiggestrige“ können sowohl klassische Neonazis wie die NPD als auch nicht-autochthone Autoritäre wie die Grauen Wölfe verstanden werde. Beide sind als Teil einer globalen Rechtsradikalen offen antisemitisch und auch antizionistisch.

4 Wie AfD-Watch Bremen berichtet – und dafür durchaus Kritik erntet – wurde auf dieser Demo, die sich von Antisemitismus distanzierte, die Parole „From the river to the sea – Palestine will be free“ gerufen. Diese Parole imaginiert ein Palästina, das vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer reicht und impliziert die Vision eines Nahen Ostens ohne Israel. Dass dieser Nahe Osten ohne Israel auch ein Naher Osten ohne Juden wäre, zeigt die Geschichte des Ausschlusses – zumeist antizionistischer – Juden aus der palästinensischen und anderen arabischen Nationalbewegungen, die der Staatsgründung vorausging und maßgeblich zur Verbreitung der zionistischen Idee unter den Juden der arabischen Welt beitrug. Lesenswert dazu: Nathan Weinstock – Der zerrissene Faden, besonders das Kapitel: „Das heilige Land“.

5 Weil sich die Demo am Osterdeich von dieser „islamischen Rechten“ distanzierte, meinten Teilnehmende in mehreren Diskussionen, dass diese Demo auch frei von derartigen Ideologien wäre. Eine Reflexion darüber, wie weit diese Ideologien bereits in der positiven Bezugnahme auf die palästinensische Nation (und die Akzeptanz des von ihr definierten Ausschlusses von Juden:Jüdinnen) stecken, fand nicht statt. Stattdessen wehte die palästinensische Fahne als einzige auf der Demonstration, weder die rote noch die Antifa-Fahne oder sonstige über die Nation hinausweisende Fahne waren zu sehen.

6 Der Begriff des Volkes (oder auch der Nation) ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie rechte Ideologien es – nicht nur in diesem Fall – in linke Mobilisierungen und Gedanken hineingeschafft haben. Eine Nation ist nie etwas anderes als die kulturelle Homogenisierung eines Staatsvolkes und somit notwendigerweise affirmativ gegenüber den bestehenden Verhältnissen. Ihr wohnt immer ein Moment des Abschlusses inne. Auch Israel ist hier keine Ausnahme, sondern bloßer Beweis der Macht dieser Verhältnisse, in denen Juden:Jüdinnen gezwungen sind, auf ebenjene Homogenisierung zurückzugreifen, um nicht selbst vernichtet zu werden. Der Staatsgründung Israels gingen zwei an dieser Homogenisierung gescheiterte jüdische Emanzipationen voraus: die der Juden:Jüdinnen zum Staatsbürger und die zum Sowjet, da sowohl die bürgerlichen Staaten des Westens als auch die Sowjetunion ihre staatliche Homogenisierung – ergo Machtstabilisierung – auf dem Rücken der jüdischen Gemeinschaft ihrer jeweiligen Länder ausübten. In einem Redebeitrag haben wir dazu mal gesagt: „Es geht nicht darum, dass Israel im Gegensatz zu anderen Staaten irgendwie humaner wäre, sondern darum, dass Israel durch die Inhumanität der anderen Staaten zur einzig möglichen Verteidigung der Jüdinnen und Juden geworden ist.“ Siehe: https://antideutsch.org/2020/01/30/im-eingedenken-an-die-opfer-des-nationalsozialismus-2/

7 SETA ist eine wissenschaftliche Stiftung, die dem Erdogan-Regime nahesteht. TRT ist das türkische Pendant zu Russia Today, also ein Propaganda-Instrument des Erdogan-Regimes. Es wundert also nicht, dass Baé keine Probleme mit dem Einfluss türkischer Nationalisten im Zentralrat der Muslime hat.

8 Siehe: https://www.mena-watch.com/deutsches-islam-zentrum-sammelt-geld-fuer-die-hisbollah/]

9 Zur antisemitischen Ideologie des iranischen Regimes ist das Buch „Suicide Attack“ von Gerhard Scheit zu empfehlen, der zum Thema auch diverse Vorträge gehalten hat, die auf YouTube zu finden sind: https://www.youtube.com/watch?v=On1VWbKjaa8 & https://www.youtube.com/watch?v=pmwEnnHAr44

10 Es verwundert nicht, dass der Antisemitismus – anders als der Rassismus – das Anti bereits im Namen trägt und auch in seinem Selbstverständnis diese gefühlte Rebellion trägt. Während der Rassismus die Höherwertigkeit einer ethnischen Gemeinschaft postuliert und so ihre Herrschaft positiv stützt, imaginiert der Antisemitismus die Herrschaft einer Elite, gegen die er sich positioniert. Näheres zum Verhältnis von Rassismus und Antisemitismus hat Joachim Bruhn geschrieben, der im Antisemitismus den Hass auf die vermeintlichen Übermenschen und im Rassismus den Hass auf die vermeintlichen Unmenschen sieht: https://www.ca-ira.net/wp-content/uploads/2018/06/bruhn-deutsch_lp.pdf

11 Dadurch ergibt sich auch eine Gemengelage, in der sich ein antisemitischer Antirassismus artikuliert, den wir an anderer Stelle bereits kritisiert haben: https://antideutsch.org/2020/03/28/die-provokation-der-juedischen-existenz-reloaded/. Siehe auch https://taz.de/Autorin-ueber-modernen-Antisemitismus/!5784415/

12 Wir haben den Begriff in Anführungszeichen gesetzt, weil er unserer Meinung nach fälschlicherweise einen Rassismus – der die Religion lediglich als Mittel zum Zweck, als inhaltliche Ausgestaltung seines Ressentiments sieht – mit einer Kritik an einer Religion in einen Topf wirft. Es ist kein Zufall, dass der Begriff vom iranischen Regime, dem die islamische Religion zur Legitimation ihrer Herrschaft dient, popularisiert wurde. In der Taz konnte man dazu bereits 2010 lesen: „Wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Wortes anschaut, muss man an dessen Tauglichkeit und begrifflicher Trennschärfe zweifeln. Glaubt man den Publizistinnen Caroline Fourest und Fiammetta Venner, dann kam das Wort erstmals im Iran nach der Islamischen Revolution von 1979 auf: Den Mullahs diente er als politischer Kampfbegriff, um ihre Gegner zu diffamieren.

Bis in die Gegenwart wird der Begriff in diesem Sinne durch islamische und islamistische Organisationen wie die Islamic Human Rights Commission in Großbritannien instrumentalisiert, die fast jede kritische Stimme mit diesem Schlagwort belegt. Zum anderen steht „Phobie“ von der Wortbedeutung her für ein besonders ausgeprägtes Gefühl der Angst, das über ein vertretbares Maß hinausweist. Es soll hier aber nicht um individuelle Emotionen, sondern um reale Diskriminierung gehen und um eine Feindseligkeit, die sich gegen Muslime als Muslime richtet.“ Siehe: https://taz.de/Debatte-Islamophobie/!5135490/

13 Auch das ist ein Beispiel für die linke Übernahme eines rechten Ideologems. Der Rechten dient die Hufeisentheorie dazu, sich einerseits des eigenen antisemitischen NS-Erbes zu entledigen, während man zugleich jede Form linker Gesellschaftskritik, die nach den Ursprüngen der NS-Ideologie und ihrer Massenbasis in der Mitte fragt, diffamiert. Die Übernahme dieser Denkstruktur in der Linken hat den gleichen Effekt: das antisemitische Erbe, das über Stalinismus und Maoismus bis hin zur postkolonialen Theorie Edward Saids reicht, wird verdrängt, während zugleich die grundlegende Kritik am Antisemitismus diffamiert wird.

14 Siehe: https://twitter.com/antideutsch_org/status/1394712751587594248

15 Projektionen wie die hier dargelegten verraten einem nie etwas über den Gegenstand, aber immer viel über jene, die von ihm sprechen. Wer im Jihadismus einen Freiheitskampf sieht, der träumt von einer Welt, in der jede Form der bürgerlichen Vermittlung von Herrschaft aufgehoben ist, gerade weil man selbst dermaßen in diesen verstrickt ist. Wer den Geflüchteten per se als Jihadisten sieht, der weiß um die eigenen Triebregungen, die der bürgerlichen Vermittlung im Weg stehen und spaltet sie so auf das rassifizierte Objekt ab.

16 Hier sind wir wieder beim Punkt der Homogenisierung. Dazu haben wir an anderer Stelle geschrieben: „1998 erschien Leah C. Czolleks Text Sehnsucht nach Israel, in dem sie sich mit der Allgegenwart eines linken und feministischen Antisemitismus beschäftigte, die Weigerung der deutschen Linken, das Problem des Antisemitismus ernst zu nehmen, scharf kritisierte und ihre eigene Erfahrung als Jüdin innerhalb dieser Gruppen durchzuarbeiten versuchte. Der Text ist getragen von der Enttäuschung einer linken und feministischen Jüdin, dass ausgerechnet ihre Genoss*innen, mit denen sie gegen die herrschende Gesellschaft kämpfen möchte, den Antisemitismus der herrschenden Gesellschaft selbst reproduzieren. 18 Jahre später reflektierte sie erneut diesen Text und stellte erschüttert fest: „Solidarität haben Juden und Jüdinnen in der feministischen und antirassistischen Szene nicht zu erwarten.“7 Die Überlegungen, die sie zu diesem Urteil kommen lassen, können einiges zum Verständnis der hier behandelten Debatte beitragen. Für Czollek beginnt das Problem bereits in der geforderten Positionierung, welche die Illusion beinhaltet, eine gesellschaftliche Position ließe sich auf einen klaren Nenner bringen, gewissermaßen essentiell im Individuum fixieren.8 „Jede Irritation“, schreibt sie, „soll vermieden werden. Auf irgendeine Art soll die Unberechenbarkeit der Pluralität, die Unübersichtlichkeit der Pluralität, das Chaos der Pluralität gebannt werden.“9 In diesem Zwang zur Positionierung – auf den wir bereits im letzten Statement mit dem Begriff Zwangs-Outing eingegangen sind – manifestiert sich ein Streben nach „Reinheit und Einfachheit. Es sollen sichere Orte geschaffen werden, indem alles draußen zu bleiben hat und jene vor der Tür bleiben müssen, die die Reinheit stören.“10 Die Reinheit der Allianz gegen Diskriminierung wird dabei jedoch nicht dadurch gestört, dass Antisemit*innen im Block mitlaufen, sondern einzig und allein durch zwei israelische Flaggen, die diesen Zustand erst deutlich machen und deshalb als Eindringlinge ausgemacht und mit aller Macht abgewehrt werden müssen.“ Siehe: https://antideutsch.org/2020/03/28/die-provokation-der-juedischen-existenz-reloaded/

17 Genau darin liegt für Kommunist:innen die Besonderheit von Auschwitz. In der antisemitischen Massenvernichtung wurden die Unterschiede zwischen Herrschenden und Beherrschten, Arbeiter:innen und Kapitalist:innen aufgehoben. Es waren nur noch Deutsche, die gemeinsam die Endlösung anstrebten. Genau diese Möglichkeit der absoluten Vereinigung der Klassen – ohne sie abzuschaffen – bietet der Antisemitismus noch heute.

18 In dem die Unterdrückungserfahrung nicht mehr als Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse gesehen wird, sondern in die Körper der Unterdrückten selbst hineingelegt wird, wird sie fetischisiert. Anstatt zu erkennen, dass Unterdrückte in bestimmten Situationen selbst unterdrücken, müssen Opfer des Antisemitismus der Unterdrückten zu Weißen und damit per se zu Tätern gemacht werden. Die eigene Verstrickung in Herrschaft kann so abgespalten werden.

19 Siehe: https://antideutsch.org/2020/02/22/die-provokation-der-juedischen-existenz/ & https://antideutsch.org/2020/03/28/die-provokation-der-juedischen-existenz-reloaded/

20 Auch die Mutter des Täters war ein Opfer. Dieser Femizid darf in der Betrachtung des Attentates nicht unter den Tisch fallen gelassen werden,

21 Ein Blick in das Manifest des Attentäters zeigt diese Verstrickung von Antisemitismus und Rassismus sehr deutlich.

22 Die Behauptung, dass nicht die Israelfahne, sondern generell das Tragen einer Nationalfahne der Grund für den Angriff – der gerne als Intervention abgetan wird – war, ist und bleibt eine Verdrehung der Tatsachen. Wie wir bereits in der Antwort auf ein Statement der Administratoren der Telegram-Gruppe Hütbürger:innen Watch klargestellt haben: „Das Statement schließt damit, dass erneut Falschaussagen über den antisemitischen Angriff auf unsere Gruppe Anfang des Jahres 2020 verbreitet werden, um uns als „Wiederholungstäter:innen“ darstellen zu können. Das Narrativ, dass wir „als weiß männlich dominierte Gruppe“ auf der Demo aggressiv eine Eskalation erzwingen wollten und dabei für „Faschos“ gehalten wurden, ist dabei ebenso an den Haaren herbeigezogen wie das angebliche Verbot von Nationalflaggen, über das wir uns hinweggesetzt hätten. Es gibt ein Video, das deutlich zeigt, dass wir mit zwei kleinen Israelfähnchen versuchten, den BIPoC-Block zu passieren, um in den vorderen Bereich der Demo zu gelangen. Dabei wurden wir von einem – nicht nur uns bekannten Antisemiten – als Hurensöhne beleidigt und angespuckt. Im danach entstehenden Tumult konnten wir nur durch die Hilfe von uns Unbekannten unbeschadet aus der Situation herauskommen. Hätten wir provozieren wollen und die Auseinandersetzung gesucht, wären wir sicherlich besser auf derartige Reaktionen vorbereitet gewesen. Der Angreifer trug übrigens eine Kuba-Fahne, was ebenso wenig wie sein antisemitischer Angriff als Grund gesehen wurde, ihn von der Demo zu verweisen. Wir haben uns in zwei Texten ausführlich zu diesen Vorwürfen geäußert und werden auch in naher Zukunft die Beweislage in Gänze veröffentlichen, um derartige Mythenbildung und Täter/Opfer-Umkehr als das zu entlarven, was sie sind: antisemitische Propaganda. Diese Propaganda wird von dem Statement von „Hutbürger:innenwatch Bremen“ erneut verbreitet, was die zahlreichen Bekenntnisse gegen Antisemitismus in etwa so glaubwürdig erscheinen lassen wie die eines Heiko Maas.“ Siehe: https://antideutsch.org/2021/05/13/statement-zu-hutbuergerinnenwatch-bremen/

23 Die genaue Ausführung des Vorfalls haben wir bereits im direkten Anschluss der Demo veröffentlicht: https://antideutsch.org/2020/02/22/die-provokation-der-juedischen-existenz/

24 Es gab zahlreiche Sympathie für den Nationalsozialismus bei den Kolonisierten des britischen Empires, wie Uli Krug basierend auf einem Buch von Dan Diner hier darlegt: https://jungle.world/artikel/2021/14/der-vergessene-ozean)

25 Folgerichtig kursieren im arabisch-sprachigen Raum überarbeitete Ausgaben, die entsprechende Passagen heraus kürzten und bis heute ideologischen Einfluss auf nationalistische Bewegungen ausüben.

26 Siehe dazu: https://www.deutschlandfunk.de/ns-und-naher-osten-exportierter-antisemitismus.886.de.html?dram:article_id=461073 

27 Siehe dazu das bereits erwähnte Buch von Nathan Weinstock: Der zerrissene Faden.

28 Bei Edward Said, der den Orientalismus als Diskurs des Okzident untersuchte, werden Juden:Jüdinnen pauschal dem Okzident zugezählt. Um dies argumentativ aufrechtzuerhalten, muss er dann auch die gesamte Kooperation der deutschen mit den arabischen Antisemit:innen unterschlagen. Diese Kooperation beweist einmal mehr das Potential des Antisemitismus, Herrschende (Okzident) und Beherrschte (Orient) zusammenzubringen.

29 Auch das hat historische Gründe. Denn es war die westliche Demokratie und die auf westlichen Prinzipien basierende Sowjetunion, welche historisch den Juden:Jüdinnen die Emanzipation von feudaler Unterdrückung versprachen.

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