Das Dynamit der Zehntelsekunde

Zwei private Veranstaltungen für Berlin, Beginn ist jeweils 19:30. Bei Interesse bitte (mindestens einen Tag vorher) eine Mail an redaktion@antideutsch.org .

25.07.2019 – Film: Akte D – Mythos Trümmerfrauen (2016)

Das postnazistische Deutschland imaginiert sich seine eigene Geburtsstunde als Stunde Null. Ein Volk, dass inmitten der Trümmer aus einem bösen Traum erwacht ist. Scheinbar freiwillig und völlig gewaltlos wandte sich ein Volk von den Fehlern seinen eigenen Geschichte ab. Anders als in der blutigen Französischen Revolution soll sich hier eine Staatlichkeit ohne Gewalt als Gründungsverbrechen konstituiert haben. Die Trümmerfrau wurde zum Symbol einer Nation, die die Ärmel hochkrempelte und wie durch ein Wunder und ohne lästigen Klassenkampf die eigene Wirtschaft wiederherstellte. Die Trümmerfrau ist die mythische Mutter einer wieder gut geworndenen deutschen Nation, die sich heute als moralische Supermacht inszeniert.

Verdrängt werden musste im Mythos, dass sich das deutsche Volk mit seinem klassenübergreifenden Sozialpakt in brutalen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden konstituierte. Man wollte, wie es Joachim Bruhn formuliert, „das volksgemeinschaftliche Resultat ohne dessen Geschichte“ und bedurfte eines historischen Bruchs, wo bloß eine militärische Niederlage zu finden war: „Das kapitalistische Deutschland bewältigte den Nationalsozialismus, indem er seiner Lebenslüge, die Demokratie hätte mit dem Führer nicht das geringste gemein, bis zur vollendeten Selbsthypnose verfiel.“

08.08.2019 – Film: the man with the movie camera (1929)

»Ich bin das mechanische Auge. Ich, die Maschine, zeige euch die Welt so, wie nur ich sie zu sehen imstande bin. Von heute an und in alle Zukunft befreie ich mich von der menschlichen Unbeweglichkeit.«

Das Werk des am 21. Dezember 1895 als Dawid Abelewitsch Kaufmann geborenen sowjetischen Regisseurs Dziga Vertov, kann als exemplarisch für eine materialistische Ästhetik, wie sie Walter Benjamin in seinem Kunstwerkaufsatz vorschwebte, gelten. Es ist ein Dokument der theoretischen und ästhetischen Aufbruchsstimmung der sowjetischen Avantgarde in den 1920er Jahrne, als die Euphorie der Oktoberrevolution noch nicht von der bitteren sozialistischen Realtität des Stalinismus eingeholt worden war/wurde. Die damals verbreitete Stimmung ermöglichte es, dass Vertov und der Rechtstheoretiker Eugen Paschukanis das Werk von Karl Marx ein bisschen ernster nahmen, als es die staatspolitische Realität zu ließ. Die Werke beider werden so zu den schärfsten Kritiken des nach ihnen kommenden sowjetischen Films beziehungsweise Rechts.

In seinem Werk aus dem Jahre 1929, bei dem ihm seine beiden Brüder Michail und der spätere Oscar-Preisträger Boris Kaufmann als Kameramänner assistierten, setzte Vertov sich der Verdrängung der Kamera aus dem Film entgegen. Anstatt die Kamera nur dazu zu nutzen, eine äußere Wirklichkeit filmisch zu reproduzieren – was nicht zuletzt Horkheimer und Adorno als zentrales Element der Kulturindustrie sahen – ist die Kamera für ihn ein Instrument, mit dem der Verblendungszusammenhang durchdrungen werden soll.

Die Haltung, welche von den meisten Filmen zur äußeren Wirklichkeit eingenommen wird, ist diejenige, die Benjamin dem Maler zuschreibt, der als Beobachter „in seiner Arbeit eine natürliche Distanz zu Gegebenen“ wahrt. Vertov gelingt, worin Benjamin die materialistischen Potenziale des Films sah: Er „dringt tief ins Gewebe der Gegebenheiten ein.“ Das durch das chirurgische Eindringen erhaltene Bild ist „ein vielfältig zerstückeltes, dessen Teile sich nach einem neuen Gesetze zusammenfinden.“ Mittels Montage bringt Vertov die einzelnen Teile in Konstellationen, die den Blick auf ein Ganzes freigeben, der dem bloßen menschlichen Auge verborgen bleibt. In den Worten Georg Seeßlens: »Es ist der Augenblick, da die Maschine nicht als Ausdruck, sondern als Überwindung der menschlichen Entfremdung wirkt. Das Kamera-Auge ist die erste gelungene Beziehung von Mensch und Maschine. Eine kommunistische Maschine. Dann kam alles ganz anders. In der Wirklichkeit wie im Kino.«

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