Zur Lage in Venezuela

Wenig überraschend hat sich der Amtierende Präsident und Präsidentschaftskandidat der Regierungspartei PSUV, Nicolás Maduro, bei den Wahlen am 20.05.2018 durchgesetzt. Seine nun zweite Amtszeit wird bis 2025 dauern. Trotz anhaltender Proteste in den letzten Jahren, teils mit blutigem Ausgang, boykottierte das größte Oppositionsbündnis Mesa Unida Democratica (MUD) die Wahl. Die Wahlbeteiligung lag bei unter 50 Prozent. Unter anderem erkennen die USA und die EU das Wahlergebnis nicht an.

Was bedeutet das nun für das von einer schweren Wirtschafts- und Versorgungskrise gebeutelte Land an der Nordküste Südamerikas?

Der Internationale Währungsfonds prognostiziert der Venozolanischen Landeswährung Bolivares im Jahr 2018 eine Inflation von 13.864 Prozent. Der Mindestlohn einschließlich aller Boni liegt bei knapp 2,5 Millionen Bolívares. Dafür bekommt man einen Karton Eier oder zwei Sandwiches im Café – aber noch nicht einmal ein Kilo Fleisch. Der offizielle Dollarkurs liegt bei 70.000 Bolívar; auf dem Schwarzmarkt werden aber inzwischen bis zu einer Million Bolivares gezahlt. Aus der Haupststadt Caracas verschwindet das Bargeld immer mehr, stattdessen wird elektronisch per Karte bezahlt. In den ländlicheren Gegenden, wo dieses Verfahren nicht oder nur eingeschränkt möglich ist hat sich ein weiterer Schwarzmarktzweig etabliert: Das Bereitstellen von größeren Bargeldsummen gegen Bezahlung des zwei- bis dreifachen Wertes.

In den Regalen der meisten Geschäfte des Landes herrscht gähnende Leere, Lebensmittel kommen zu großen Teilen gar nicht erst dort an, sondern werden von Schwarzmarkthändlern verkauft. So greifen nicht einmal mehr die von der Regierung bei bestimmten Standardwaren festgesetzten Preise. Seit 1,5 Jahren verteilt die Regierung Lebensmittelpakete in dem Versuch eine grundlegende Versorgung der Bevölkerung zu sichern.
Auch die medizinische Versorgung ist desolat, Betriebsmittel für Krankenhäuser, Ärzte, medizinisches Fachpersonal und vor allem Medikamente fehlen.

Es werden kaum noch Devisen in das Land gebracht, Konzerne wie Kellogg´s und General Motors haben sich aus dem Land zurückgezogen, immer weniger Fluggesellschaften fliegen das Land an und die Wirtschaftssanktionen anderer Länder gegenüber Venezuela werden gravierender.
Viele Venezolaner haben inzwischen das Land verlassen oder pendeln täglich über die Landesgrenzen, um im Ausland etwas Geld zu verdienen.
Um die Infrastruktur des Landes steht es schlecht. Die Straßen sind kaputt, die Energie- und Wasserversorgung an vielen Orten unzuverlässig.
Ganz zu schweigen von der Sicherheitslage. Die Korruption innerhalb der Polizeibehörden hat sich verstärkt, immer mehr Gebiete werden von Banden kontrolliert und der Handel hat sich zu einem dedeutenden Teil auf den erwähnten Schwarzmarkt verlagert.

Schuld ist in erster Linie das Versäumnis der Regierung, die unter Hugo Chavez verstaatlichte Erdölförderung auszubauen und zu sichern und gleichzeitig andere Industriezweige zu fördern oder zu etablieren. So hat sich Venezuela nicht vom Erdölpreis und dem Import von Lebensmitteln und Produkten wie Maschinen und Fahrzeugen emanzipiert. Außerdem wurden offensichtliche wirtschaftliche Probleme wie das Monopol des Lebensmittelherstellers Alimentos Polar, welcher Grundnahrungsmittel wie das vorgekochte Maismehl Harina P.A.N. (welches früher aus keinem venezolanischem Haushalt wegzudenken war) oder auch das meistgetrunkene Bier Venezuelas – die „Polarcita“ – herstellt, nicht angegangen. Und das obwohl dies selbst fernab von politischer Ideologie nahe lag.

Das andere große Problem ist die Korruption in den von der Regierung kontrollierten Einrichtungen, es wurde nie ein Weg gefunden diese in den Griff zu bekommen Vom Kleinstadtbürgermeister bis hin zum hochrangigen Regierungsfunktionär in Caracas verschwanden Gelder und die Entwicklung des Landes blieb auf der Strecke.

Außerdem schränkte von Beginn an die Haltung der „Sozialisten des 21. Jahrhunderts“ die internationalen Handelsbeziehungen ein. Aufgrund Chavez‘ für die gesamte Poltitische entwicklung Venezuelas emblematischer „Gegen den Yankee-Imperialismus“-Rhetorik und Außenpolitik blieben am Ende nur noch offene Verbündete wie Iran, Russland, China oder Syrien.

Trotz all diesen Elends ist die Situation für die Bevölkerung keinesfalls klar. Warum setzt der Großteil der Bevölkerung nicht seine Hoffnungen in die Vertreter der Opposition?

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts herrschte in Venezuela der Diktator Juan Vicente Gómez, nach dessen Tod eine Liberalisierung des Landes begann. Zwischen 1941 und 45 Wurden die sozialdemokratische Partei Accion Democratica und die Kommunistische Partei legalisiert. 1947 trat mit Rómulo Gallegos der erste direkt vom Volk gewählte Präsident sein Amt an, allerdings nur für kurze Zeit. Es folgte ein Militärputsch.
1948 Herrschte eine Militärjunta, ab 1952 dann der Diktator Pérez Jiménez.
Mit seinem Sturz im Jahre 1958 wurde Venezuela eine Demokratie.

Einen rasanten wirtschaftlichen Aufschwung erlebte das Land unter Präsident Carlos Andrés Pérez, während dessen erster Amtszeit 1974-79 etwa 240 Milliarden Dollar durch Erdölexporte eingenommen wurden. Der Erdölreichtum wirkte sich vor allem positiv auf die politische Stabilität und das Bildungssystem des Landes aus.
Mit dem Verfall des Ölpreises ab 1983 schwanden die Einnahmen jedoch und es wurde deutlich, dass andere Wirtschaftszweige komplett vernachlässigt wurden, die nötig gewesen wären um die fehlenden Erdöleinnahmen auszugleichen.
Die Folgen waren Rezession und wachsende Auslandsverschuldung.
Venezuela befand sich am Rande des Staatsbankrotts, Sparmaßnahmen, welche als Bedingung für Kredite des IWF auferlegt wurden, wälzte die regierung vor allem auf die armen Teile der Bevölkerung ab. Im Februar 1989 kam es zu Hungerrevolten und Aufständen, die gewaltsam niedergeschlagen wurden.
Es folgten ein Zusammenbruch der etablierten Parteien und 2 versuchte Militärputsche.

Die Wahl Hugo Chavez‘ zum Präsidenten im Dezember 1998 bedeutete den Anfang großer Veränderungen vor allem für die ärmere Landesbevölkerung.

Am wichtigsten sind hier die von der Regierung finanzierten Sozialprogramme zu nennen: Gesundheit (Barrio Adentro), für die Lebensmittelversorgung (Mercal), das Wohnungbauprojekt, das für günstige oder kostenlose Unterkünfte für die Armen und die Mittelklasse sorgt, das Canaima-Programm, das Schülern und Studenten Computer zur Verfügung stellt, die Programme „Mütter des Viertels“ und nun „Haushalte des Vaterlandes“, mit denen die Regierung Hausfrauen in Anerkennung ihrer häuslichen Arbeit finanziell unterstützt und schließlich „Amor Mayor“, das Rentenprogramm; dies sind nur einige der großen Fortschritte, die das Land in Sachen sozialer Gerechtigkeit und zumindest zeitweise beim Schließen der wirtschaftlichen Kluft vorangebracht haben.

Genauso wurde versucht ein System von Basisdemokratie und Partizipation aufzubauen in Form von Kommunen, Räten und Bürgerversammlungen. Ziel war es fast das gesamte aktuelle politische und wirtschaftliche System schrittweise durch ein neues System zu ersetzen, in dem die Kommunen in Kommunale Städte und regionale Föderationen integriert sind, die dann Politik, Produktion und Projekte nationaler Reichweite ausarbeiten. Dies bedeutete auch, von einem Regierungskonzept „von oben nach unten“ zu einem „von unten nach oben“– Konzept überzugehen, und ebenso die Beziehungen zwischen Eigentum, Produktion und Ressourcenverwaltung auf nationaler Ebene zu transformieren.

Die auftretenden Probleme der anhaltenden Wirtschaftskrise zwangen die Kommunen jedoch weitestgehend zu einem Modus der Schadensbegrenzung anstatt weiterer Entwicklung.

Hugo Chavez wird bis heute von großen Teilen der Regierungsanhänger als Held verehrt, für viele Wähler und Anhänger war die Person wichtiger als die politischen Ziele. Allerdings spielte und spielt das Christentum in Venezuela und Südamerika im Allgemeinen eine große Rolle, so passt es, dass der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ sehr gut mit dem sozialen Christentum vereinbar ist. Chávez machte sich die Parole der Sandinisten zu Eigen: „Zwischen Christentum und Revolution gibt es keinen Widerspruch“ (Cristianismo y revolución, no hay contradicción). Ausgehend von der Prämisse, dass die wahre Identität des Christentums die Befreiungstheologie ist. Nicht umsonst betonte Chávez, dass Jesus Christus der erste Sozialist der Neuzeit sei und dass das „Reich Gottes“ hier auf Erden errichtet werden müsse.

Die weit verbreitete Haltung innerhalb der Bevölkerung ist die, lieber den Teufel zu wählen, den sie bereits kennt, als auf die größtenteils unklare Politik der Opposition zu vertrauen. So konnte diese mit großen, teilweise blutig endenden, Protestaktionen in der Hauptstadt oder auch der offenen Forderung nach einer militärischen Intervention der USA für Aufsehen sorgen, legte jedoch kein schlüssiges Konzept für eine Stabilisierung der Verhältnisse vor. Auch Präsident Maduro und die Regierung haben hier keine besonders erfolgsversprechenden Ansätze, zuletzt wurde die Kryptowährung „Petro“ eingeführt.
Fragt man die Bevölkerung auf der Straße dominiert aber eben die Angst vor derm Unbekannten und der Wunsch zu Verhältnissen wie am Anfang der „Bolivarischen Revolution“ zurückzukehren.

Fazit:

Es ist unbestreitbar, dass die Regierung in ihrer Finanz- und Wirtschaftspolitik schwerwiegende Fehler begangen hat und verantwortlich für die Situation im Land ist. Es gibt kein sozialistisches Projekt mehr. Die zentrale Rolle des Erdöls hat die bürokratischen, zentralistischen, klientelistischen und korrupten Strukturen der Vergangenheit reproduziert. Dem bolivarischen Venezuela ist es nicht gelungen, dieses Phänomen zu vermeiden. Außerdem fehlt es an Klarheit über die Maßnahmen der Regierung.

Auf Seiten der Basis herrscht Misstrauen, inwieweit die Regierung weiß, wie sie die Krise lindern oder lösen soll. Korruption bleibt ein großes Problem und der Autoritarismus hat zugenommen. Es gibt viele – auch offene – Kritiken an der Politik der Regierung aus der Basis und auch aus der PSUV selbst, und noch viel mehr von anderen Parteien, die die Regierung unterstützen. Die Ungleichheit hat massiv zugenommen.

Ein Großteil der sozialen Fortschritte, die Venezuela erzielen konnte, wurden in der Krise zerstört – Ob noch etwas von Ihnen übrig ist, wenn sie vorüber geht, bleibt abzuwarten.

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