Eine Stellungnahme der feministischen und antifaschistischen
Koordination für Göttingen und Umland zum Kommentar des
niedersächsischen Innenministers Boris Pistorius (SPD) im Göttinger
Tageblatt (GT) vom Freitag, den 19. August 2016.
Pistorius, Du Heuchler!
Ein Innenminister sollte sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, wenn
es um die Verurteilung von Gewalt geht. Bist Du es nicht gewesen, der
nach den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln auf der
rechten Welle mitgeschwommen ist und gefordert hatte, dass man
Geflüchtete, „die so etwas machen”, abschieben können soll? Bist Du es
nicht auch gewesen, der von „menschenwürdigen Abschiebungen“ gesprochen
und damit zur Verschleierung dieser vielmehr menschenverachtenden Praxis
zu einer ’sozialdemokratischen Wohltat‘ beigetragen hat? Und jetzt
stellst Du Dich hin und denkst mit Deiner widerlichen Doppelmoral
Antifaschist_innen verurteilen zu können, die ihre körperliche
Unversehrtheit und ihre Freiheit riskiert haben, um Neonazis in die
Schranken zu weisen? Schreibtischtäter sollten mit ihren Urteilen
vorsichtiger sein.
Die Scheiße ist doch, Pistorius, dass Du Dich vollkommen unglaubwürdig
machst. Denn Du beziehst Dich in Deiner grottenschlechten Prosa im GT
auf verschiedene Vorfälle, die in erster Linie aus Mutmaßungen und
Spekulationen bestehen:
a) Die Mär von der „linksextremen Gewalt“ gegen Studentenverbindungen.
Natürlich gibt es vermehrt Angriffe auf Verbindungsstudenten. Das
belegen die Statistiken. Aber die Bullen haben in den meisten Fällen
keinerlei Beweise für einen „linksextremen Hintergrund“ bei diesen Über-
und Angriffen. Oft handelt es sich um wilde Spekulationen der Bullen
selbst. Nicht einmal im Fall dieses bescheuerten Brandanschlags auf den
Schuppen des Corps Hannovera, bei dem Menschenleben gefährdet wurden,
kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass „linke“ am Werk
waren. Du und Deine Schergen, ihr habt bislang lediglich ein schlechtes
Graffiti präsentiert, das von weiß Gott wann gewesen sein kann. Stimmt,
dabei handelt es sich um einen Hinweis, aber belegt oder gar bewiesen
ist auch in dem Fall rein gar nichts. Und nun nimmst Du die
Spekulationen der Bullen über einen vermeintlichen Anstieg
„linksextremer Gewalt“ zum Anlass für Deine selbstgerechte
Geschichtsschreibung.
Dass auch in diesem Fall die antikommunistische Stoßrichtung der
„Extremismusformel“ voll zum Tragen kommt, wird offensichtlich, wenn man
sich folgende Tatsachen einmal vor Augen führt: Es waren
Burschenschafter, die im Sommer vergangenen Jahres mit Softair-Waffen
auf eine linke Wohngemeinschaft geschossen haben. Es war ein Mitglied
der Landsmannschaft Verdensia, das den Sprecher der Wohnrauminitiative
vom Fahrrad geschubst hat und es sind die Burschenschaft Hannovera und
die Landsmannschaft Verdensia, die Kader der extremen Rechten wie
Jan-Phillip Jaennecke und Lars Steinke hervor gebracht haben.
Offensichtlich misst Du hier mit zweierlei Maß, worauf auch die
Einrichtung einer „SoKo“ anlässlich der „Gewalt gegen
Verbindungsstudenten“ hinweist. Die Mär von der „linksextremen Gewalt“
gegen Studentenverbindungen dient offensichtlich als Feigenblatt für die
Kriminalisierung antifaschistischer Politik – Spekulationen werden zu
Tatsachen verklärt und eine ganze Bewegung unter Generalverdacht
gestellt. Deine Fassungslosigkeit entpuppt sich so als Heuchelei. Denn
Du bist noch nicht einmal gewillt Dich an Deine eigenen Spielregeln zu
halten und die polizeilichen Ermittlungen abzuwarten, geschweige denn
Dich auf Gerichtsurteile zu stützen – Dir reicht schon Deine
kleinbürgerliche ideologische Gedankenwelt und das Gefühl auf der
richtigen Seite zu stehen.
b) Die Fabel vom aufgeschaukelten Auto. Jetzt wird es richtig absurd.
Nachdem in der Göttinger Innenstadt 6 Neonazis von, laut
Zeitungsberichten, 40 Antifaschist_innen verprügelt worden sind, setzte
Deine Bullen-PR eine abstruse Geschichte in die Welt, dessen Zweck so
offensichtlich ist, dass sie eigentlich keine Zeile wert wäre. Da Du
Dich aber in Deinem Kommentar im GT so leidenschaftlich darauf beziehst
und offensichtlich versuchst Kapital daraus zu schlagen, indem Du die
Stimmung weiter anheizt, hier ein kleiner Hinweis: Wenn 6 Neonazis von
einem Mob eins auf die Mütze bekommen und die Bullen schon da sind; wenn
diese Bullen darüber hinaus auch gleich einschreiten, wie es bislang
allen Zeitungsberichten zu entnehmen war, und sogar irgendwelche Leute
festgenommen haben; wie – um alles in der Welt – willst Du Dir
erklären, dass die Antifaschist_innen, die offensichtlich vor den
Bullen auf der Flucht sind, nochmal kurz anhalten um irgendein Auto
„aufzuschaukeln“. Und warum haben Deine Bullen dann die Leute, die eine
kurze Rast zum Aufschaukeln eines x-beliebigen Autos eingelegt haben,
nicht erwischt? Diese Geschichte stinkt bis zum Himmel – Du
widersprichst Dir selbst und es fällt Dir nicht einmal auf.
Wir wollen nicht sagen, dass diese Frau und ihr Kind keine Angst gehabt
haben und dass es nicht auch sein kann, dass sie berechtigten Anlass für
ihre Angst hatten. Vielleicht haben sich Genoss_innen auf der Flucht
auf dem Auto abgestützt und es wirkte wie ein „Aufschaukeln“.
Vielleicht war es auch bloße Einbildung – eine Situation, die man nicht
einschätzen kann, die unübersichtlich ist, kann beängstigend sein. Aber
Du machst da auf eine widerliche heuchlerische Art eine Horror-Story
draus und erfindest die „linksextreme Lust an der Gewalt“. Hast Du sie
noch alle?! Wer soll Dir das denn glauben? Wenn Antifaschist_innen mit
40 Leuten 6 Neonazis vermobben und von der „Lust an der Gewalt“
getrieben wären, denkst Du dann nicht, dass Schlimmeres passiert, eineR
von den Faschos womöglich liegen geblieben wäre? Die antifaschistische
Aktion vom Sonntag beweist das genaue Gegenteil von dem was Du Dir da
zusammenreimst: Den Neonazis wurde offensichtlich nur so viel verpasst,
dass die Message in ihren Birnen ankommt: „In dieser Stadt kassiert ihr,
macht euch vom Acker“. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und das
verweist darauf, dass die radikale Linke in Göttingen, im Gegensatz zu
Deinen Mackern von der BFE, in der Lage ist Zweck und Mittel ins
Verhältnis zu setzen.
Aber wem erzählen wir das. Wer seine Phantasie für die Propaganda derart
zu nutzen weiß, ist für Argumente längst nicht mehr empfänglich. Darum,
Du Heuchler, erwarten wir von Dir auch nichts, nicht einmal eine
Erklärung dafür, dass Du in deinem vermeintlich demokratischen Wahn
gegen „Linksextremisten“ offensichtlich bereit bist rechtsstaatliche
Prinzipien außer Kraft zu setzen.
Du hörst von uns.
Feministische und antifaschistische Koordination für Göttingen und Umland