Redebeitrag vom 05.05. in Bornhagen
Seit nun schon über einem Jahr kreist der politische und gesellschaftliche Diskurs um die so genannte Flüchtlingskrise. Die Gesprächsrunden im Fernsehen, in der Kneipe und am Kaffeetisch beinhalten nie enden wollende Debatten über „die deutsche Kultur“, über „andere Kulturen“, über Krieg, Heimat, Steuergelder, was unsere Wirtschaft braucht, wer kommen darf, wer wann wieder geht und vor allem, welche Probleme an welchen Stellen auftreten. Vielschichtig und umfangreich gestaltet sich die Diskussion, in der vor allem die untergehen, die es ernst meinen mit einer ausführlichen Beleuchtung der Verhältnisse. Ungeachtet der komplexen internationalen und realpolitischen Zusammenhänge drängen sich in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung die nach vorne, die vermeintlich einfache Lösungen anbieten. Seien es die PEGIDA-Bewegungen unter anderem mit dem verurteilten Volksverhetzer Lutz Bachmann, die ultrarechten Kleinstparteien „Der 3. Weg“ und „Die Rechte“, die NPD, oder sei es die AfD mit ihren Galeonsfiguren Höcke, Petry und von Storch. Systematisch versucht die völkische Allianz, den Diskurs an sich zu reißen. Von Anfang an wurden Stimmen laut, die vor einer „Masseninvasion“, vor „Chaos“ und einem „unkontrollierbaren Zustrom“ an Flüchtenden schwadronierten.
Vor allem in den Regionen, in denen die große Politik nicht spürbar abläuft und man sich seit Jahren von „denen da oben“ herumgeschubst fühlt, finden menschenfeindliche Positionen Anschluss. So ist es nicht verwunderlich, dass sich in ganz Thüringen, das eher einem gigantischen Freiluft-Museum für Agrarwirtschaft gleicht, seit einer Weile vielerorts größere und kleinere Gruppen an Rassisten zusammenrotten. Wie gewöhnlich ein wenig verzögert ließ und lässt sich dies auch im Eichsfeld beobachten. Musste die NPD bei ihrer Sommer-Tour zu Landtagswahl 2014 in Heiligenstadt und Leinefelde noch vor 10 Zuhörern ihre aktuelle Position zu Tierrechten hervorkramen, um ein paar Stimmen zu erhaschen, fanden sie ein Jahr später schon deutlich größere Gruppen an Interessenten vor. Seitdem finden regelmäßige Kundgebungen, Demos und Hetzjagden auf politische Gegner in Nordthüringen und Südniedersachsen statt. Durch ständige Präsenz und Militanz versuchen die NPD und ihre Schäfchen, die Meinungshoheit in der Region an sich zu reißen. Sei es unter dem Namen „Freundeskreis Thüringen / Niedersachen“, „Junge Alternative Göttingen“, „EinProzent“ oder „Ein Licht für Deutschland.“
Angesichts brennender Flüchtlingsheime und unaufgeklärter halbherziger Anzeigen gegen Unbekannt hat man obendrein das Gefühl, die staatlichen Einrichtungen hätten bestimmte Teile des Landes bereits sich selbst überlassen. Doch nicht nur in der Bekämpfung des rechten Roll-Backs sehen sich Freunde der Aufklärung in der Pampa im Stich gelassen. Wer den Schritt geht, Geflüchtete direkt vor Ort zu unterstützen, wird schnell merken, dass die staatliche Ordnung an der Schaffung eines normalen Lebens für Refugees nicht interessiert oder zu schlecht aufgestellt ist. Oftmals sind es engagierte Freiwillige, die den Geflüchteten Starthilfe geben. Vor allem im ländlichen Raum mit mangelnder Infrastruktur sind ehrenamtliche Helfende und Supporter unabdingbar.
Dies alles geschieht in einer öffentlichen Diskussion, die vor allem durch ein nicht sehen wollen der Zustände glänzt. So wurde nach mehrmaligen Angriffen von Neonazis auf Jugendliche und Demonstrationsteilnehmer*innen in Heiligenstadt kaum Selbsteinsicht gezeigt und stattdessen von Verleumdung geredet sowie mit Anzeigen gedroht, wie im Fall des Eichsfelder Polizeichefs Marko Grosa.
Wer also die Lage im Eichsfeld kennt, die spießbürgerlichen Reflexe, die den vermeintlichen Nestbeschmutzern entgegenschlagen und die Welle an Ignoranz die jeden kritischen Impetus versucht, im Keim zu ersticken, den wundert auch nicht, dass sich grade ein ressentiment geladener Phrasendrescher wie Björn Höcke im angeblich so beschaulichen Bornhagen niederlässt. Wo die Wurststraße noch eine kulturelle Errungenschaft darstellt und eine Demonstration als sprichwörtlicher Untergang der volksgemeinschaftlich gehandelten, sich selber voraufklärerisch romantisierenden Dorfidylle gilt, ist der Anschluss an die thüringische AfD nicht weit. Man kennt sich in Bornhagen und weiß, wofür man steht. Der Bürgermeister Mario-Paul Apel sieht in der Demonstration einen nahtlosen Anschluss der als kommunistischer Gesinnungsterror gehandelten düsteren DDR Zeit und Ministerpräsident Ramelow fantasiert sich eine Mustergemeinde herbei, die von Nazimethoden überzogen wird. Hier lebt man das neue helle Deutschland und weiß sich selbst vor Störenfrieden gefeit, die angeblich mit ihrer Kritik an der Tristesse die Mauer wieder hochziehen wollen.
Statt Kritik seiner selbst gilt es nur, abwehrend von Toleranz zu schwafeln. Die Differenz von öffentlicher Darstellung als tolerante Mustergemeinde und dem doch offensichtlichen Zuspruch für Sozialneider und Rassisten der AfD erscheint dabei als vergeblicher Versuch, das Politische dann doch privat zu halten. Wahlergebnisse interessieren hier wenig, da ja angeblich auch kaum jemand wählt, so Apel. Man gibt sich unpolitisch und ist dabei erwartbar reaktionär. Öffentlich wird versucht zu retten, was geht. So lamentiert Apel in Interviews lieber etwas von einer bunten und multikulturellen Gemeinschaft, ohne sich selbst klar zu machen, wie dies auszudeklinieren wäre. Phrasen gegen Rechts bleibt auch der gewohnte Jargon der narzisstischen Ehrenrettung der ostzonalen Peripherie. Schädelvermesser und Goebbels Laiendarsteller wie Björn Höcke passen da wunderbar in die von diffusem Hass auf alles Außenstehende schwellende Gemeinschaften, welche für Ramelow anscheinend eine Art Naturschutzgebiet darstellen.
Die Reaktionen auf den heutigen Tag haben dabei alles bestätigt, was Bornhagen zu dem Ausflugsziel von vornherein ausgemacht hat. Die Selbstvergessenheit, der Drang zum Geschichtsrevisionismus und der völkische Traum der Mustergemeinde sind hier ein langer Wegbegleiter und keineswegs eine Ausnahmeerscheinung.
Wer hier aufwächst und es schafft, über den Tellerrand der geistigen Verelendung zu schauen, dem bleibt nur zu wünschen, möglichst schnell die Flucht zu ergreifen, um auch zu den reaktionären und patriachistischen Anlässen wie dem Vatertag und Familienfeiern nicht wiederkehren zu müssen.