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Zookinder

Am 20. September 1913 kam Carla Simon zur Welt. Am gleichen Tag wurde ein Elefantenbaby im Berliner Zoo geboren und nach ihr benannt. Carla ist eines der sogenannten »Zookinder«. Eines der Kinder, deren Eltern Zooaktionäre sind und die deshalb den Zoo mit ihren Familien kostenlos besuchen dürfen. Gerade während der Zwischenkriegszeit war der Berliner Zoo einer der beliebtesten Treffpunkte der Berliner Bürger. Einige der »Zookinder« erinnern sich noch heute an dort glücklich verbrachte Kindheitstage. Nicht, weil der zoologische Garten im Berliner Ortsteil Tiergarten der älteste Zoo Deutschlands ist, oder weil er als artenreichste der Welt gilt. Sondern weil es ihr Zoo war. Zumindest bis 1938. Denn ab da war es Juden verboten, den Zoo zu betreten.

Jüdische Aktionäre

Am Erfolg des Berliner Zoos hatten die Berliner Juden einen großen Anteil: Von den 4000 Aktionären der Zoologischer Garten Berlin AG waren vor dem Nationalsozialismus 1500 Juden. Carlas Vater Walter Simon war nicht nur Aktionär und Mitglied im Aufsichtsrat. Der Zoo war Lebensmittelpunkt für die Familie. Doch bereits in den frühen 1930ern setzte die Ausgrenzung der jüdischen Mitglieder des Aufsichtsrats ein. Geplant wurde, stattdessen Personen mit nationalsozialistischer Gesinnung in den Aufsichtsrat zu berufen. Es gab Widerstand, jedoch ohne Erfolg. Walter Simon, der bis 1933 den Zoo auch juristisch vertreten hatte, teilte im selben Jahr desillusioniert sein Ausscheiden mit. Die Familie Simon besuchte den Zoo danach nicht mehr, der ihr viele Jahre als Ort gesellschaftlichen Austauschs gedient hatte.

Im Zuge der so genannten »Arisierung« war es den jüdischen Aktionären ab 1938 nicht mehr möglich, ihre Aktien zu vererben oder weiterzuverkaufen – sie konnten ihre Wertpapiere lediglich zu Schleuderpreisen an den Zoo übertragen, der diese dann wiederum an nichtjüdische Deutsche verkaufte. Die Entrechtung und der Raub waren die Vorstufe zur Vernichtung. So musste auch Walter Simon seine Wertpapiere im Dezember 1938 verkaufen. Carla Simon konnte mit ihrem Ehemann 1936 nach London fliehen. Walter Simon und seiner Frau gelang die Auswanderung nicht mehr, sie wurden 1942 in Riga ermordet.

Der Berliner Zoo im Nationalsozialismus

Bis heute hat der Zoo nicht angemessen Stellung bezogen. Wie so viele andere deutsche Unternehmen, hat auch der Zoo lange gewartet, um sich zu diesem Teil seiner Geschichte zu verhalten. Die Resultate, eine Gedenktafel am Antilopenhaus und eine Studie über die Rolle des Berliner Zoos während des Nationalsozialismus, bleiben klägliche Versuche, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Historikerin Monika Schmidt – die die Studie letztlich publizierte – stellte fest, dass der Zoo seine jüdischen Aktionäre „aktiv, systematisch und aus freien Stücken“ verdrängte und beraubte. Noch im Mai 2015 hielt Zoodirektor Andreas Knieriem eine Rede anlässlich der Verlegung eines Stolpersteins für Hilde Singer, auch eines der »Zookinder« und Tochter jüdischer Anteilseigner. Knieriem erwähnte den Nationalsozialismus nicht einmal. Kein Wort des Bedauerns über das unsagbare Unrecht fand der Zoochef für die enttäuschten Angehörigen.

Im Dezember 2015 folgt nun die Kehrtwende. Getrieben von den Recherchen der Historikerin Schmidt, gibt der Zoo-Direktor das Versprechen: ab jetzt werde auch „die dunkle Seite der Geschichte des Zoos“ wahrgenommen. Entschädigungen werden aber weiterhin ablehnt. Stattdessen setzt man auf eine Ausstellung und eine weitere Hinweistafel. Das alles geschah durch Druck von außen. Sowohl wenige Überlebende der Shoah, als auch einige Kinder ehemaliger Aktionäre haben durch unzählige Briefe und Bitten dazu beigetragen.

Es passt nur allzu gut ins Bild, dass es im Zoo eine Büste für den von 1932 bis 1945 tätigen Zoodirektor Lutz Heck gibt. Ein Freund Hermann Görings, der bereits 1933 ein Fördermitglied der SS war und es sogar bis zum Leiter der NS-Naturschutzbehörde schaffte. Ein weiteres Beispiel für den ignoranten Umgang mit den ehemaligen jüdischen Aktienbesitzern stellt – zumindest bis heute – die Homepage des Zoos dar: Der 2. Weltkrieg wird in einem Satz abgehandelt und lediglich die „zerstörten Bauten“ des Zoos bedauert, um dann sofort zum Aufbauwerk der Nachfolgerin Hecks überzugehen. Der Raub jüdischen Eigentums und die Ausgrenzung und Vernichtung der Juden wird mit keiner Silbe erwähnt. Wir sind uns allerdings sicher, dass wir hier bald eine Sonderseite zum Thema finden werden. Eine kleine Abbitte in HTML-Format. Das wäre ganz im Stil der bisherigen Auseinandersetzung in dieser Institution.

Erinnerung als höchste Form des Vergessens

In der BRD ist es mittlerweile Tradition, zu diesem Thema pathetische Reden zu halten und sich in Bekenntnissen über die deutsche Schuld an der Shoah zu übertreffen. Doch all das wohlfeile Gerede von Verantwortung führt selten zu materieller Entschädigung. Obwohl Deutschland einerseits durch die Enteignung, andererseits auch mittels der Zwangsarbeit sowie der Ausplünderung der von Deutschland kontrollierten Gebiete finanziell enorm profitierte. Angefangen bei den viel zu niedrigen »Wiedergutmachungszahlungen« der jungen Bundesrepublik an Israel, die wohlgemerkt aus politischem Kalkül und nicht aus einem schlechten Gewissen heraus geleistet wurden, mussten sich viele Opfer des deutschen Vernichtungswahns, wenn überhaupt, mit heuchlerischen Gesten und symbolischen Beträgen begnügen. Heute mangelt es vielen der noch lebenden Holocaustüberlebenden allerdings gerade an finanzieller Unterstützung für das Nötigste.

Unsere Forderungen

Es gibt keine Wiedergutmachung für die Shoah. Dies darf den Profiteuren der »Arisierung« allerdings nicht als Entschuldigung oder Ausrede dienen, noch nicht einmal einen materiellen Ausgleich zu schaffen: Die Kinder und Kindeskinder der jüdischen Anteilseigner, so auch die Erben Walter Simons, haben bis heute nichts von den Investitionen ihrer Eltern und Großeltern in den Zoo gesehen, diesbezügliche Anfragen an den Zoo wurden abgeblockt.

Wir fordern, dass die Zoologischer Garten Berlin AG und das an ihr beteiligte Land Berlin die Nachfahren der rechtmäßigen Anteilseigner ausfindig macht und ihnen endlich eine Entschädigung zahlt – samt dem Wertzuwachs, den die Aktie seitdem durchlaufen hat. Momentan ist die Aktie etwa 4000 € wert, mindestens diese Summe wäre also angemessen. Bei einem regelmäßigen Jahresumsatz im unteren zweistelligen Millionenbereich und jährlich ca. 3 Mio. Besuchern sollte dies möglich sein.

Antideutsche Aktion Berlin im Dezember 2015

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