“Es gibt keine Geschädigten und auch keine Anzeigen” lässt Hans-Otto Rehberg, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Eichsfeld in der TLZ vom 17.11. verlauten. Gemeint ist der zwei Tage zurückliegende Abend des 15.11. in Heilbad Heiligenstadt. Neonazis hatten nach dem Ende ihrer Kundgebung “Ein Licht für Deutschland” in der Innenstadt Gegendemonstrant*innen attackiert.
Ablauf des Abends
Für 17 Uhr hatte das Eichsfelder Bündnis gegen Rechts am Sonntag eine Kundgebung auf dem Markt angemeldet. In mehreren Redebeiträgen wurde auf die Pariser Anschläge und die darauf folgende rassistische Propaganda eingegangen. Gegen 18 Uhr setzten sich etwa 40 Personen in Richtung des Friedensplatzes in Bewegung, um dort spontan gegen die Kundgebung aus dem Umfeld der NPD und der Freien Kräfte Eichsfeld zu demonstrieren. Es wurde eine Gegenkundgebung angemeldet. Circa 19:15 wurde diese aufgelöst. Kurz darauf gingen auch die Teilnehmenden der rechten Kundgebung, auf der NPD-Stadtrat Matthias Fiedler sprach. Auf der Wilhelmstraße waren deshalb für einen Sonntagabend recht viele Personen unterwegs.
Mehrere Vorfälle
Nach Informationen unserer Gruppe kam es daraufhin zu mindestens drei Begegnungen mit rechten Demonstrant*innen. So wurde in der Wilhelmstraße eine Gruppe Gegendemonstrant*innen von aggressiven jungen Männern bedrängt. Daraufhin flüchteten die bedrohten Jugendlichen und wurden mehrere hundert Meter verfolgt. Kurz darauf forderten 5-6 junge Männer 3 Gegendemonstranten am Markt dazu auf, ihnen eine Fahne auszuhändigen und bedrohten die Jugendlichen mit Pfefferspray. Eine der angesprochenen Personen konnte sich in ein Auto retten, die anderen beiden ergriffen die Flucht und wurden ebenfalls verfolgt. Während dessen machten sich 3 Angreifer an dem abgeschlossenen Auto zu schaffen. Unter anderem wurde versucht, Pfefferspray in die Lüftungsschlitze des Wagens zu sprühen. Kurz darauf kam es zu einer weiteren brenzlichen Situation auf dem Parkplatz am Karl-Liebknecht-Platz. Auch hier verfolgten gewaltbereite Personen zwei Gegendemonstrant*innen bis zu deren Auto.
Verhalten der Polizei
Öffentlich nimmt die Polizei nur zu einem Notruf Stellung, unseren Informationen zufolge gab es jedoch mindestens zwei Anrufe bei der Polizei. Wir halten es für sehr fragwürdig, dass die Polizei öffentlich zum Inhalt des Anrufes nur erwähnt, dass es sich um ein Auto drehte. Verschwiegen wird die bedrohliche Lage der Person, die in diesem Auto eingesperrt war. Das Schweigen zu dieser Situation wirkt wie ein Herunterspielen und nicht wahrhaben Wollen der Ereignisse. Dieses Gefühl macht sich auch bei anderen Kontakten mit den Einsatzkräften des Abends breit: Eine der am Markt angegriffenen Personen flüchtete sich zum Polizeirevier in der Petri-Straße, um dort Hilfe zu holen, als ein Streifenwagen gerade das Grundstück verließ. Die Besatzung wollte jedoch zunächst die Personalien der geschädigten Person aufnehmen und misstrauten ihr. Auch zu diesem Vorfall schweigt die Polizei. Die dritte am Markt geflüchtete Person berichtet des weiteren, dass sie in der Aegidienstraße auf einen Streifenwagen zulief, um Hilfe zu holen, dieser jedoch einfach weg gefahren sei. Dabei entkam die Person den Angreifern, die anscheinend davon ausgingen, die Polizei würde anhalten, und kehrte zum Markt zurück. Dort trafen gerade die durch den Notruf alamierten Polizeifahrzeuge ein. Die geschädigte Person verwies die Einsatzkräfte auf einige Angreifer, die sich noch am Markt aufhielten und entfernte sich zügig. Ob die Polizei die betreffenden Personen danach zur Rede stellte, ist unklar.
Warum gibt es keine Anzeigen?
Bei einer Anzeige erfährt die angezeigte Person die persönlichen Daten der Person, die die Anzeige stellt. Wer schon mal eine Anzeige gegen Neonazis gestellt hat, weiß, dass das meist Konsequenzen nach sich zieht. Da in Gerichtsverfahren gegen Anhänger der rechten Szene jedoch sowieso meistens milde Strafen zu erwarten sind, lohnt sich eine Anzeige nicht. Sie erhöht nur das Risiko weiterer Angriffe. Da die Angreifer am Sonntag meist vermummt waren und es zudem durch die Jahreszeit bedingt sehr dunkel war, ist die Chance, dass ihnen ihre Tat nachgewiesen werden kann, ohnehin sehr gering. Desweiteren darf nicht unterschätzt werden, dass diejenigen Personen, die Anzeigen hätten stellen können gerade ein höchst traumatisches Erlebnis verarbeiten müssen. Es ist in einer derartigen Situation nicht ungewöhnlich, dass sich Geschädigte ersteinmal zurückziehen und erholen müssen, anstatt sich langer oft unsensibler Befragungen zu unterziehen.
Frustration macht sich breit
Bereits am 19.09. war es am Rande der beiden NPD-Kundgebungen in Heiligenstadt zu versuchten Angriffen und Einschüchterungsversuchen auf und gegen antifaschistische Jugendliche gekommen. Als circa 10-15 Neonazis 2 Gegendemonstranten in der Aegidienstraße jagten, war die Polizei damit beschäftigt, linke Jugendliche zu durchsuchen. Auch als sie von den Durchsuchten auf die Situation aufmerksam gemacht wurden, reagierten sie nicht auf die offensichtlich aggressive Stimmung 100 Meter weiter. Nur wenige Tage später fand eine antifaschistische Demonstration in Heiligenstadt statt. Im Vorgang der Veranstaltung warnte die Polizei und konstruierte eine überzogene Gefahrensituation. Schulen schlossen früher, Geschäfte in der Innenstadt hatten zu. Schlussendlich entpuppte sich die Hysterie als haltlos. Es kam zu keinen Zwischenfällen. Trotzdem waren rund 300 Polizei-Einsatzkräfte nach Heiligenstadt gekommen.
So entsteht der Gesamteindruck, als würde die Polizei bewusst rechte Übergriffe verharmlosen. Nicht erst seit dem Brand der geplanten Geflüchtetenunterkunft in Bischhagen ist bekannt, dass es im Eichsfeld eine aktive rechte Szene gibt. Repressalien gegen diese sind jedoch nicht spürbar. Auch das Ordnungsamt lies die Neonazis bei ihrer nicht angemeldeten Kundgebung in Heiligenstadt am 08.11. gewähren, obwohl vorher mit einer Auflösung der Veranstaltung gedroht wurde. Nun müssen sich die Behörden dem Vorwurf stellen, sie haben rechten Aktivitäten im Landkreis nichts entgegenzusetzen.