„Das ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir jemals hatten.“ Joachim Gauck
„Dann ist sozusagen hier, das notwendige, was – in Anführungszeichen – erwartet wurde, erfüllt, und damit finita la comedia.“ Michael Wolfffsohn
Ein vor über dreißig Jahren eingeleitetes Gerichtsverfahren wegen „Gefangeneneigentumsverwaltung“ endete nach zahllosen Etappen mit einem Richterspruch „im Namen des Volkes“: Oskar Gröning „hat sich schuldig gemacht der Beihilfe zum Mord in 300.000 zusammenhängenden Fällen“. Dieses Urteil stößt medial auf breite Zustimmung. Nebenklagevertreter wie Thomas Walther jubeln sogar: „Das ist wunderbar. Das ist eine Erfüllung juristischer Träume.“ Doch dieses Urteil ist weit mehr. Es ist der nächste Meilenstein auf dem Weg zum endgültigen Schlußstrich.
Nachdem die Staatsanwaltschaft Frankfurt 1977 ein Ermittlungsverfahren gegen Oskar Gröning eingeleitet hatte, wurde es nach acht Jahren eingestellt. „Nach gründlicher Durcharbeitung der Vorgänge ergibt sich kein zur Erhebung der öffentlichen Klage hinreichender Tatverdacht“, lautete die damalige Begründung. Weitere Argumente für die Einstellung des Verfahrens sollten später dargelegt werden. Doch dazu kam es nie. Im Namen des deutschen Volkes wollte in dieser Zeit niemand den „Buchhalter von Auschwitz“ vor Gericht zerren.
Es brauchte mehrere Jahrzehnte, bis ein Richter, in diesem Fall der Vorsitzende Richter der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Lüneburg, zu dem Schluß kam, dass „Auschwitz schlicht und ergreifend eine auf die Tötung von Menschen ausgerichtete Maschinerie“ war. Und somit jeder, der daran in irgendeiner Form mitwirkte, sich der Beihilfe zum Mord strafbar machte. Interessant daran ist nicht nur die Frage, warum noch kein Gleisbauer, Lokomotivführer oder Rangiermeister sich vor Gericht verantworten musste, sondern auch, wieso innerhalb von dreißig Jahren sich die Sicht der Dinge derart verändert hat.
Aus der Sicht der Täter.
„Der Prozess gegen Gröning hat die ungeheuerlichen Verbrechen greifbar gemacht“, kommentiert Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung das Urteil gegen Oskar Gröning. Wie so oft liegt er auch in diesem Fall falsch. Ungeheuerliche Verbrechen können nicht greifbar, quasi für den alltäglichen Hausgebrauch nutzbar, gemacht werden. Sie sind und bleiben unbegreiflich. Was Prantl wirklich meint, kann man einige Zeilen später lesen: „Es geht und ging nicht um die Höhe der Strafe, es geht und es ging um den Schuldspruch“. Ein Schuldspruch um des Schlußstrichs willen. Ein Schuldspruch der nicht Recht spricht, deshalb ist dem Prantl die Höhe der Strafe egal, sondern der das neue Deutschland frei spricht.
Die Aufarbeitung der ‚Schande Deutschlands‘, juristisch, historisch und politisch ist die Voraussetzung für eine aktivere Rolle Deutschlands in der Welt. Dabei ist nicht von Interesse wie diese Auseinandersetzung stattfindet, allein es reicht, dass sie stattfindet. Genau dies gilt auch für den Prozess. Es war nicht wichtig wie lange Oskar Gröning hinter schwedischen Gardinen verschwinden muss, ob er überhaupt seine Strafe antritt, sondern das er verurteilt wird. Und zwar „im Namen des Volkes“.
Richter Kompisch drückte am Ende des Prozess sogar seine Dankbarkeit aus, dass Oskar Gröning seinen Lebensabend – zumindest teilweise – dem neuen Deutschland opfert. „Insgesamt verdient Ihr Verhalten durchaus Respekt, Herr Gröning“, da er sich dem Verfahren und seiner Verantwortung gestellt habe. „Ich habe die Hoffnung“, so Kompisch, „dass diese Entscheidung für Sie vielleicht ein Schlussstrich unter das Geschehen sein könnte.“
Wir dagegen schließen uns Michael Wolffsohn an: „300.000 Märtyrer, drei Jahre, das ist doch in keinem Verhältnis zueinander. Das heißt, wenn ich Gerechtigkeit anstrebe durch ein derartiges Rechtsverfahren, sehe ich keine Gerechtigkeit darin.“
Antideutsche Aktion Berlin im August 2015