Es ist unser Ernst!

Es war einmal, dass die – richtige oder falsche – Idee die Massen ergreifen und begeistern mußte, um selber zur materiellen Gewalt zu werden wie 1789 oder 1917. Im Atomzeitalter, hieß die Botschaft, kommt die Geschichte ohne Ideen und ohne Massen aus – noch nie waren die Menschen so überflüssig. Kein Wunder daher, dass manche zum Islam, der Religion des Fatalismus, konvertieren, und viele etwas trübsinnig wurden.“ Wolfgang Pohrt

Kartoffelauflauf in der Innenstadt. Braun-rote Grütze überall. Menschen, die den Eindruck erwecken, sie hätten ein Ei am wandern, plärren lauthals Blödsinn ins Mikrofon. Es geht gegen die Juden, die weltweit Herrschenden. Und deren zahlreiche Handlager, wahlweise die NSA/USA, die deutsche Bundesregierung oder die Europäische Union. Nicht einmal hundert Aufgebrachte klatschen frenetisch. Der Zirkus ist in der Stadt. Ein paar Clowns verfrühstücken die amerikanische Außenpolitik auf Nutella-Niveau, aber kaum jemand will so richtig anbeißen. Der sich zur Masse halluzinierende Mob fällt in sich zusammen, eine richtige Bewegung wird daraus nicht. Der Mehrheit in Deutschland geht es nicht um den ‚Frieden auf der Welt‘, sondern um die äußerst komfortable Friedhofsruhe hierzulande. Dabei stören Querulanten nur.

Allerhöchstens die radikalsten Teile der erfolgreich sedierten Volksgemeinschaft können noch eine gewisse Aktivität auf der Straße entfalten. Die große Koalition ist das deutsche Wunschkonzert. Keiner tanzt aus der Reihe, es ist die perfekte Welle. Nigeria, Griechenland, Syrien, das Mittelmeer oder die Ukraine könnten sechs Häuserblocks entfernt liegen, wenn Ottonormalverbraucher noch einen gut gesicherten Nachschub an Chips, Bier und Unterhaltung hat, interessiert ihn das nicht die Bohne. Ruhe, Ordnung, Sicherheit 2.0. Kann kommen was will. Shopping Queen, Brennpunkt Familie und Circus Halligalli heißt das sich ständig wiederholende Programm innerhalb der eigenen vier Wände. Woche für Woche. Monat für Monat. Jahr für Jahr.

Ein gewisses Interesse an dem langatmigen Zinnober von linken Friedensbewegten, Verschwörungstheoretikern, Hippies, Esoterikern, Neonazis und anderen deutschen Narzissten bringt der Durchnittsdeutsche allerhöchsten auf wenn bei Spiegel TV darüber berichtet wird. Unterlegt mit dramatischen Bildern, einer aufgeregten Stimme aus dem Off und entsprechender Musik. Das dabei manchmal entstehende schlechte Gewissen wird wahlweise kompensiert mit einem Kasten Warsteiner oder einer Spende für Pro Asyl. Derzeit reicht es aus, damit die Mittelschicht ihren höchst willkommenen Distinkstionsgewinn gegenüber dem Plebs einstreichen kann, einfach nur die alten Klamotten auszumisten. Anstatt in der Mülltonne zu landen, dürfen nun einige glückliche Flüchtlinge diese Altkleidersammlung neu auftragen.

Ein Fall für die Antifa?

Deutlich als Gegner*innen der Veranstaltung war eine Gruppe von Antifaschist*innen zu erkennen, die sich mit selbst gebastelten Hüten aus Alufolie über die Nähe der ‚Friedensbewegung 2014‘ zu obskuren Verschwörungstheorien über ‚Chemtrails‘ und ähnlichem lustig machen wollten. Da sie aber auch gleichzeitig mit vollem Ernst Israel- und USA-Fahnen schwenkten und mal ‚lustige‘ und mal ernste Zwischenrufe abgaben, wirkte der Protest nicht sehr stimmig.“ ‚Autonome Skater*innen‘ auf Indymedia

Wenn der Gegenstand der Kritik unter aller Kritik ist, bleibt allerhöchstens noch die Satire. Es ist unser Ernst. Jugend trainiert für Karneval ist die ganz und gar falsche Antwort auf das kollektive Schattenwerfen der deutschnationalen Gartenzwerge. Nicht nur weil der eigene Auftritt völlig lächerlich ist. Es adelt stattdessen diesen schlecht organisierten Wahnsinn zu einer realen Gefahr. Dabei gilt: Die gesellschaftliche Relevanz des Gegenstandes antideutscher Kritik sollte über die einzusetzende Mittel entscheiden. Dieses versprengte Häuflein komplett Bekloppter verdient jedoch noch nicht einmal unseren Hohn und Spott. Einfach links liegen lassen ist in diesem Falle das Beste. Professionelle Satiriker erledigen schon den Rest.

Wenn der Vollzeitirre Ken Jebsen behauptet, ständig in Berlin von Antideutschen körperlich bedrängt zu werden, versucht er damit nur seine Stellung als bedeutender, ‚investigativer Enthüllungsjournalist‘ herauszukehren. Nicht nur in diesem Zusammenhang ist einzig der Wunsch Vater des Gedankens. Weder der Mossad, die CIA, noch ernstzunehmende Antideutsche arbeiten sich an einem solch unbedeutenden Subjekt ab. Es gibt in diesem Land ganz andere Themen: geschichtsrelativierende Historiker, Auftritte von Tayip Erdogan und seinen Spießgesellen, die christlich-konservative Zivile Koalition, salafistische Prediger, deutsche Vertriebene in vierter Generation, Veranstaltungen antizionistischer ML-Organisationen, Esoteriker jeglicher Couleur, deutsch-iranische Wirtschaftsforen, holocaustrelativierende Tierschützer sowie jeder Auftritt von Jakob Augstein in der Öffentlichkeit. Hier gilt es zu intervenieren!

Für die Berliner Republik?

In einem misslungenen Beitrag für die Jungle World hat kürzlich die Antideutsche Aktion Berlin ein Ende der Eventpolitik gegen den Berliner Quds-Marsch gefordert. Wir teilen die Abscheu gegen das Mitmachen an sich, von linken Bündnissen ganz zu schweigen. Wir mobilisieren trotzdem gegen den Aufmarsch der antisemitischen Internationale, und beteiligen uns an der bundesweiten Kampagne Schall und Wahn.“ Bündnis gegen Antisemitismus Duisburg

Wie jedes Jahr mobilisiert – trotz aller Kritik – ein ‚bundesweites Bündnis‘ gegen den „größten antisemitischen Aufmarsch Deutschlands“, darunter macht man es nicht. Rund tausend Demonstranten, mehr oder weniger instruiert vom Iran, werden in der Mitte Berlins erwartet. Im letzten Jahr stellte die association antiallemande nach einem Selbstversuch im antifaschistischen Anti-Alquds Bündnis völlig zurecht fest: „Wem es aber ernst ist damit, den antisemitischen Mobs zu begegnen, der wird darüber reden MÜSSEN, was in der Al-Nur Moschee gepredigt wird – der wird darüber reden MÜSSEN, wie und warum die muslimischen Communities sich zunehmend radikalisieren und der wird nicht zuletzt endlich sich eine materialistische und rückhaltlose Islamkritik aneignen MÜSSEN“. (1)

Zu dieser Einsicht kamen die Genossen, nachdem sie erleben mussten, dass es diesem Bündnis nicht für möglich erschien, Islam zu sagen ohne gleichzeitig Islamophobie zu sekundieren und dass man sich dort, statt auf den Antisemitismus des islamistischen Mob auf der Straße, lieber auf Jürgen Elsässer und andere politische Randgestalten konzentriert. Womit – ob bewusst oder nicht – jene antideutschen Antifaschisten, die beherzt diesem alljährlich stattfindenden Treiben entgegentreten, die weltoffene Bundesrepublik Deutschland, welche erfolgreich ihre ‚Lehren aus der Vergangenheit‘ gezogen hat, repräsentieren, anstatt – wie proklamiert – die deutschen Verhältnissen zu denunzieren.

Kein Wort über den grassierenden Antisemitismus, den Hass auf Israel in diesem Lande und die ständig schwindende Gegenwehr. Als Beispiel: Keine zehn Kilometer entfernt vom Demonstrationsort befindet sich in Steglitz die Treitschkestraße (2), deren Umbenennung am Widerstand der örtlichen Bevölkerung sowie einer Koalition von CDU und Bündnis 90/Die Grünen scheiterte (3). Ein Skandal? Keineswegs. „Antisemitismus war immer zunächst ein Phänomen der Gebildeten. Er ging von den Schreibtischen der Gelehrten aus, von den Theologen und Hofpredigern, von Philosophen, Juristen und Journalisten“ (4). Also genau jenem Milieu, welches heutzutage hauptsächlich von den Grünen repräsentiert wird und aus dessen Gebärmüttern die Organisatoren der Gegenaktivitäten zum Al-Quds-Marsch zumeist entstammen.

Wissen sie nicht, was sie tun?

Khomeinis Anspruch, den alQuds-Tag als sogenannten „Revolutionsexport“ in die gesamte Welt zu tragen, um der islamistischen Utopie einer „Weltgemeinschaft der Muslime“ (Umma) näher zu kommen, wurde mit der Etablierung des Aufmarschs u.a. in den USA, Großbritannien und Deutschland zwar vorangetrieben, glücklicherweise jedoch nie dem Anspruch nach erreicht. Dennoch ist dieser Massenaufmarsch, an dem sich seit 36 Jahren weltweit Millionen Personen beteiligen, als globales Phänomen zu verstehen und bleibt nicht auf Iran beschränkt.“ Berliner Bündnis gegen den Al Quds-Tag, 2015

Selbstverständlich ist das Atomprogramm des Iran eine Gefahr für die Sicherheit Israels und seiner Nachbarn, aber die alljährliche Al-Quds-Demonstration in Berlin ist es ganz bestimmt nicht. Dies gestehen sich die Organisatoren sogar selbst ein. Das iranische Unterfangen, eine globale Allianz aller muslimischen Glaubensrichtungen gegen die sunnitischen Konkurrenten, zu etablieren ist längst gescheitert. Spätestens seit dem sich im Jemen, dem Irak oder in Syrien Sunniten und Schiiten gegenseitig an die Gurgel gehen, ist der Traum der vom Iran dominierten „Weltgemeinschaft der Muslime“ – regional und global – endgültig ausgeträumt.

Im Nahen Osten findet stattdessen ein Wettlauf um neue Bündnispartner statt, zum Teil jenseits der üblichen Pfade. Rußland, Iran, China und Israel sind dabei die wichtigsten Player. Während sich zarte Bande zwischen Israel und einigen sunnitischen Ländern der Region entwickeln, forciert insbesondere Rußland wirtschaftlich, politisch und militärisch seine Unterstützung des Irans und dessen Verbündeter. Die deutsche Wirtschaft hat dabei zunächst das Nachsehen. Damit sich dies bald ändert, setzt vor allem die deutsche Delegation in Wien all ihre Bemühungen darauf, die Sanktionen endlich zu beenden. „Die großen Dax-Unternehmen scharren schon mit den Hufen“, beschreibt Michael Tockuss, Vorstand der deutsch-iranischen Handelskammer, die derzeitigen Situation äußerst treffend. Vom Iran gesteuerte antisemitische Demonstranten die durch die deutsche Hauptstadt marschieren, sind deshalb wenig hilfreich – weder für die Mullahs, noch die deutsche Wirtschaft. Umso erfreulicher für beide, dass in Deutschland eine vielfältige ‚Zivilgesellschaft‘ gegen dieses antizionistische Treiben aufbegehrt.

Deutschland war für den Iran ein extrem wichtiger Handelspartner. Wenn die aktuellen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm dazu führen, dass die Sanktionen gegen das Regime in Teheran gelockert oder ganz aufgehoben werden, profitieren selbstverständlich deutsche Unternehmen davon, aber an erster Stelle die Machthaber in Teheran. Auf der Verliererseite steht dann – neben der Opposition im Iran und jenen Menschen, die im Jemen, Irak, Syrien und Libanon unter vom Iran unterstützen Hilfstruppen leiden – vor allem Israel. Hier liegt die Gefahr und nicht in einer Demonstration am Al Quds-Tag.

Ein Beispiel für die engen Bande zwischen iranischer und deutscher Wirtschaft ist der 1934 gegründete Nah- und Mittelost-Verein e.V. (NUMOV). Diese Vereinigung ist in Deutschland eine der wichtigsten Zusammenschlüsse zur Förderung des deutsch-iranischen Handels. Im Vorstand sitzen Vertreter vieler deutscher Großunternehmen. Ehrenvorsitzender ist Gerhard Schröder, der sich seit Jahren gegen Sanktionen und für den Ausbau des Handels mit der Islamischen Republik Iran ausspricht. Anstatt einmal im Jahr gegen den Al-Quds-Tag zu demonstrieren, gilt es die deutsche Wirtschaft und ihre Lobbyisten, die seit Jahren für ein Ende der Sanktionen plädieren, endlich aufs Korn zu nehmen.

Antideutsche Aktion Berlin im Juli 2015

Anmerkungen:

(1) Es konnte kein Konsens erreicht werden, association antiallemande Berlin
(2) Die Juden sind unser Unglück, Uffa Jensen, Die Zeit
(3) Anwohner stimmen gegen Umbenennung der Treitschkestraße, Cay Dobberke, Der Tagesspiegel
(4) Der gebildete Antisemit, Joachim Frank, Frankfurter Rundschau