Anmerkungen zu einer ständig wiederkehrenden Farce.
„Kein Witz: Eine andere, eine solidarische Welt ist möglich – aber sie kann nur auf den Trümmern der alten Ordnung errichtet werden. Fangen wir mit dem Abriss an“ (1), ködert das kommunistische Bündnis …ums Ganze seine zahlreichen Groupies zu einer gemeinsamen Klassenfahrt nach Frankfurt am Main. Die feierliche Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) steht auf dem diesjährigen Parteiprogramm. Anlass für die große revolutionäre Vorfreude ist der Regierungswechsel in Griechenland. „Bemerkenswert ist schließlich, dass Syriza objektiv einen Raum eröffnet hat, den Bewegungen und radikale Linke füllen können, ja füllen müssen – weil er sonst schnell wieder geschlossen sein wird“. Wir halten fest: Die Zeit drängt, weil aus den Wahlen in Griechenland eine „Querfrontregierung“ (2) hervorging. Genau deshalb gilt es für radikale Linke Räume zu füllen! Und wenn es nur der Vorplatz des neuen EZB-Wolkenkratzers bzw. die städtischen Turnhallen in Frankfurt am Main sind.
„Wir wollen nur, dass die Menschen, die aus vielen Ländern Europas zu den Blockupy-Protesten anreisen werden, nicht in irgendwelchen Löchern schlafen müssen, sondern ordentlich untergebracht sind. Etwa in städtischen Turnhallen. Beim Evangelischen oder Katholischen Kirchentag, bei allen Turn- und Sängerfesten, kriegt die Stadt Frankfurt das hin“ (3), appelliert der kommode Klassenkämpfer Aaron Bruckmiller von der Interventionistischen Linken (IL) an das »Schweinesystem«, dass dieses doch bitte, bitte Schlafplätze für die anreisenden »Carhartt-Chaoten« zur Verfügung stellen soll. Falls dies nicht geschehe, sehe man sich gezwungen, stattdessen Häuser zu besetzen. Komplett rundet diesen Wahnsinn die Tatsache ab, dass eigens für diesen besonderen Ausflug ein Sonderzug bei der Deutschen Bahn gechartert wurde. Lenins Bonmot, wonach deutsche Revolutionäre eine Bahnsteigkarte kaufen, bevor sie den Bahnhof stürmen, beschrieb einmal eine Trägödie. Diese Zeiten sind längst vorbei. Heutzutage handelt es sich um die ewig gleiche Wiederholung der Farce.
Es gilt folgende einfache Bauernregel: Wenn die Ohnmacht am größten ist, werfen selbst die unausgeschlafensten Murmeltiere noch einen kleinen Schatten. Diesem Prinzip entsprechend funktioniert die Mobilisierung gegen die Eröffnung der Europäischen Zentralbank. Mit Schirm, Charme und ein wenig Photoshop wird die Generation YOLO für eine Minute Berichterstattung in der Tagesschau mobilisiert. Die danach einsetzende staatliche Repression verspricht weitaus mehr Zeit in Anspruch zu nehmen. Typisch linksradikale Bewegungsarithmetik.
Ausgerechnet für solch einen unbedeutenden Event wird jahrelang eine breite Einheitsfront geschmiedet, die von militanten Anarchoveganern, propalästinensischen Trotzkisten, wertkritischen Feministen, über postmoderne Autonome, unzählige V-Männer, hedonistische Riotclowns bis hin zu fleischfressenden Stalinisten und antideutschen Genossen reicht. Sonst haben sich diese politischen Strömungen selten etwas zu sagen. Am 18. März tauchen sie dann aber gemeinsam im kraftvollen »Black-North-Face-Block« ab und tauschen bereitwillig ihre Individualität gegen ein wenig kollektive Revolutionsromatik ein.
Derweil mutieren die großen Bündnisse …ums Ganze und Interventionistische Linke immer weiter zu Serviceagenturen ihrer erlebnisorientierten Klientel und wegen ihrer marktbeherrschenden Position zwingen sie ihre politischen Konkurrenten, sich ebenfalls in größeren Organisationen zu zentralisieren. Im Widerspruch zur autonomen Praxis sind diese großen Zusammenhänge unflexibler und können nur unzureichend auf aktuelle Ereignisse reagieren. Und das Dilemma der marxistischen Theorie ist, dass „der Marxismus irreparabel zerfallen ist in Plattheit auf der einen Seite und Mystik auf der anderen“ (4). Da kann man noch solange in den Aufrufen tiefgründig theoretisch dünnbrettbohren.
Letzten Endes stellt das ganze, jahrelang vorbereitete, Brimborium in Frankfurt am Main kein großes Problem dar, weder für die Gesellschaft noch für die Protagonisten. Die Demonstranten, bis auf die Erstsemester und die ganz Naiven, wissen um den schnell einsetzenden Kater, den eine solch gewagte Simulation von revolutionären Zeiten im 21. Jahrhundert mit sich bringt. Nach dem Großereigniss geht es nämlich ganz normal weiter. Zurück ins Ikearegal, also in den Lesekreis, während in der Gruppe die Planungen für das nächste Jahr beginnen. Und wenn das alles nicht hilft, flüchtet man sich ins about blank.
Auch die Arbeitgeber sowie Professoren brauchen sich keine Sorgen machen. Sie wissen, manchmal aus eigener Erfahrung, dass ein Adrenalinausflug ins Ungewisse ihrer Untergebenen, ein kalkulierter Ausbruch aus dem Alltag, positive Kräfte für die Arbeit frei setzt. Und in zehn Jahren geht man gemeinsam Bungeespringen. Die Sehnsucht nach der revolutionären Umwälzung, wird dann abgelöst durch die Hoffnung, wenigstens noch das lang ersehnte Ende seiner aktuellen Lieblingsserie zu erleben. Die Revolution entlässt ihre Kinder zu jeder Zeit auf ihre Art…
Antideutsche Aktion Berlin im März 2015
Anmerkungen:
(1) Mit dem Aufhören anfangen, Aufruf des kommunistischen »…ums Ganze!«-Bündnisses gegen die Eröffnung des EZB-Neubaus in Frankfurt am 18. März 2015
(2) „Luft nach unten“, Rainer Trampert in konkret 03/2015
(3) „Sonst gibt’s Hausbesetzungen“, Interview mit Aaron Bruckmiller in der taz, 04.03.2015
(4) Das allerletzte Gefecht, Wolfgang Pohrt, Edition Tiamat
Den Text findet Ihr auch in der Jungle World…